© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
CD: Pop
Nachfolger
Peter Boßdorf

Solange The Moon Lay Hidden Beneath A Cloud als Duo in Erscheinung trat, hatte man wohl recht, Der Blutharsch als ein Seitenprojekt anzusehen. Der Experimentalcharakter der Sounds bestätigte diesen Eindruck nachdrücklich: Hier versuchte jemand, noch schmalere Pfade zu gehen als zuvor, und wer ihm folgte, war nicht selten eher auf Sammlerstücke mit aufregendem Design denn an Klängen zur Begleitung des alltäglichen Lebens interessiert. Nun, mit zeitlichem Abstand, genießt Albin, der aus der Alpenrepublik stammende Mann hinter dem Projekt, auch größere künstlerische Freiheit, ohne sich selbst in die Quere zu kommen. Der neuesten CD mit dem mutmaßlichen Namen "The pleasures received in pain" (WKN/World Serpent, vielleicht aber auch bereits Triton) ist dies sehr gut bekommen. Die Entschlossenheit, niemals kapitulieren zu wollen, hat einen vermittelbaren musikalischen Ausdruck gefunden, der nicht mehr Unmißverständliches vorausschicken muß, um Miverständnisse zu produzieren. Der Hörer dieser Stücke oder der gleichfalls von Albin geprägten jüngsten Veröffentlichung von Death In June wird zuallererst an sich selbst eine Frage richten: Was war es nur, das bei The Moon... so nachhaltige Assoziationen an das Mittelalter auslöste, wo doch trotz aller Anklänge der zeitliche Horizont des in der Nachfolge Stehenden derart entgrenzt ist? Vieles ist jetzt leichter: Wenn ein romantisches Bedürfnis wirklich besteht, möchte es nicht an eine bestimmte Epoche gebunden sein.

Dieser Beliebigkeit entziehen sich die Musiker des Projekts Les Nouveaux Trouvres, das als eine Nebenbeschäftigung von Mitwirkenden der italienischen, notgedrungen irgendwie mit dem Neo Folk in Verbindung zu bringenden Formation Camerata Mediolanense gehandelt wird. Diese bezeugte in der Vergangenheit bereits reichhaltig eine Inspiration aus jenen Quellen, aus denen hier auf "Jubelo del core" geschöpft wird. Versammelt sind 15 Stücke aus dem Hoch- und Spätmittelalter in einem um Nähe zu dieser Zeit mehr als nur bemühten Arrangement. Diese spiegelt sich auch in der Themenauswahl wieder: Geistliche Kompositionen finden sich neben profanen, Tänze neben einer Hymne auf Friedrich Barbarossa.

Weniger Nachsicht hat zu gewärtigen, wer sich in das Fahrwasser zeitgenössischer Musik begibt: So jemand ist natürlich nicht inspiriert, sondern epigonal. Das gilt in Zeiten moderner Informationstechnologien auch für Norweger. Eine Band aus einem solchen Land nennt sich nicht ohne Absicht Madrugada, und wenn diese Absicht darin bestanden haben sollte, sich tatsächlich als Anbruch des Tages zu verstehen zu geben, so ist dies durchaus deplaziert, weil a) zwar aufregend und spannend, aber eben auch rückwärtsgewandt Stilelemente aus den Doors, Louis Tillett, Gun Club, Nick Cave und Gott weiß, was sonst noch, zu einer CD versponnen werden, die dann auch noch den in diesem Lichte durchaus ironisch zu verstehenden Titel "Industrial Silence" (Virgin) trägt und b) die Atmosphäre der Musik weniger in den Tag führt, sondern von der Nacht kündet und von der Erschöpfung, mit der man schlaflos aus ihr herauskommt, weil man sich den Kopf zerbrochen hat, was an Madrugada echt ist und ob man sich Künstlern oder Musikdesignern ausliefert, wenn man sich auf die CD einläßt. Spätestens dann gewinnt die Frage Bedeutung, ob mit Madrugada nicht auch frühzeitiges Aufstehen gemeint sein könnte. Früher als die ungerechten Verächter des Epigonentums?


 
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