© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/00 10. März 2000

 
Fußball: Mit Lothar Matthäus verliert die Bundesliga ein markantes Gesicht
Nachfolger des Kaisers
Achim T. Volz-Winckler

Als Lothar Matthäus, angestellt beim hundertjährigen Fußball-Club Bayern München e.V., am 4. März dieses Jahres den Rasen des Daimler-Stadions verließ, erhoben sich selbst die Anhänger des VfB Stuttgart und verabschiedeten "unsern Loddar" mit Ovationen. Der aktuelle Weltrekordhalter (146 Länderspieleinsätze), Weltmeister von 1990, Europapokalsieger und vielmalige nationale Titelträger beendete soeben seine Laufbahn in der heimischen Elite-Liga.

1979 hatte er seine bis dato nichtendenwollende Karriere am Niederrhein unter Übungsleiter Jupp Heynckes begonnen. Die in den siebziger Jahren Maßstäbe setzende "Fohlenelf" hatte den Frankenjüngling aus Herzogenaurach, der Adidas-Stadt, nach Mönchengladbach gelockt. Dort durfte das mundfertige Bewegungstalent sogar noch mit Fußball-Legende Hans-Hubert ("Bertie") Vogts, dem nachmaligen Bundestrainer, zusammen in einer Mannschaft auflaufen. Schon 1980 begann, unter dem Gespann Derwall/Ribbeck, eine nun schon zwanzig(!) Jahre währende Nationalmannschaftslaufbahn, die mit dem glanzvollen römischen Weltmeister-Titel unter "Kaiser" Franz Beckenbauer, überdies im Wiedervereinigungsjahr 1990, ihren Zenit zu erreichen schien. Unterdessen war der schuß- und kampfstarke Dynamiker vom Niederrhein an die Isar und von den Bayern über die Alpen zur Topadresse Inter Milano gewechselt. Nach dem Triumph von Rom aber warfen schwere Verletzungen den zunächst offensiven, im weiteren Karriereverlauf zunehmend defensiv arbeitenden Mittelfeldakteur zurück, nicht aber aus der Bahn. Die peinliche '92er Niederlage gegen eine aus dem Urlaub herbeigerufene Dänen-Elf (die als "Jugoslawien" firmierenden Serben waren kurzfristig von der UEFA ausgeladen worden) wäre mit einem Kapitän Matthäus niemals zustande gekommen. Der ob seiner Schnoddrigkeit nie geliebte, doch stets respektierte Ausnahmeathlet schaffte den Anschluß, kehrte zu Bayern zurück, gewann den nationalen Titel, den Europapokal und spielte 1994 in den USA in einer zerstrittenen Equippe eine grausame WM: Bulgarien warf den amtierenden Weltmeister aus dem Rennen!

Diese Schmach schien sein Ende als Nationalspielers zu bedeuten. Bundestrainer Vogts, sein vormaliger Mannschaftskamerad, war zum erbitterten Gegner eines immer umtriebiger werdenden "Loddar" geworden. Wo, so der aufs Althergebrachte setzende Bundes-Bertie, "die Mannschaft der Star" sein sollte, konnte ein mediengewandter Superstar nicht "ins System" passen, zumal Matthäus, im Pakt mit der Bild-Zeitung und den elektronischen Privatsendern, sein Privatleben zu vermarkten begann ("Lothars Tagebuch"): statt Sturmaufstellungen diskutierte die Fußball-Nation plötzlich über die diversen Scheidungen und Affären ihres "Loddars".

DDR-Auswahlspieler Matthias Sammer, ein Ausnahmekönner vom Qualitätsgrad Franz Beckenbauers, führte die Vogts-Truppe 1996 zum EM-Triumpf im Londoner Wembley-Stadion. Die Schmach von 1966, das vom russischen Linienrichter Bakramov fälschlich anerkannte Endspieltor, die unglückliche Niederlage gegen Albion, waren durch Bierhoffs Böller getilgt. Matthias Sammer, dem der VfB Stuttgart unter Christoph Daum den nationalen Meistertitel, dem der Ballspielverein Borussia Dortmund seinen Triumph in der Champions-League und den Weltpokal zu verdanken haben – der Dresdner Sammer war das Herz und der Kopf einer tatsächlich gesamtdeutschen Nationalelf.

Es war weniger Berties als vielmehr Sammers Mannschaft, die da mit den von Spiel zu Spiel schwerer blessierten Helmer, Eilts und Freund, mit Klinsmann, Kuntz und Köpcke den Titelgewinn schaffte. Kenner der Materie stimmen in der Bewertung überein, niemals eine "deutschere" Siegerelf gesehen zu haben. Von Spiel zu Spiel, eher: von Rasenschlacht zu Rasenschlacht, hatte sie sich in eine unwiderstehliche Kampfmaschine verwandelt. "Torminator" Matthäus aber blieb damals von Bertie ausgesperrt.

Rotschopf Sammer aber ereilte eine grauenhafte Verletzung, ein ärztlicher Kunstfehler riß ihn mitten aus dem prallen Profileben: Der, wie man weiß, unersetzbare Knorpel eines Kniegelenks wurde von Eiterzellen zerfressen, eine nicht sachgemäß ausgeführte Spülung hatte die anfangs beherrschbare Unbill irreparabel gemacht. Wäre das Gliedmaß des sächsischen Kämpe intakt geblieben – "Loddar", wie sein charakterlicher Gegenpol Matthias werbemäßig gelegentlich zum physiognomischen Arnold Schwarzenegger der Liga gestylt, wäre jenseits von Bayern wohl kein Thema mehr geworden. Dies gilt es zu bedenken, wenn man die Hymnen hört, die bis zum definitiven Ende des aktiven Spielers Matthäus insbesondere von Bild und Kicker angestimmt werden.

Dauerbrenner Lothar hatte mehr Glück und kam nach Blessuren immer wieder. Bundestrainer Vogts wurde 1998 von der Öffentlichkeit zum Rückzieher gedrängt; bei der durchschnittlichen Frankreich-WM trug der gedrungene Franke mit der großen Klappe erneut den schwarzen Adler auf dem Sportleibchen. Selbst ein mit Jürgen Klinsmann, dem Intimfeind, versöhnter Matthäus konnte nicht verhindern, daß man schon im Viertelfinale (freilich gegen exzellent agierende Kroaten) die Titelhoffnungen begraben mußte.

Nach Vogts kam Vorruheständler Ribbeck, vormals auch Bayern Münchens Übungsleiter; natürlich wollte "Sir Erich" auf die Qualitäten seines vormaligen Spielführers nicht verzichten und so kam es, daß der Fußball-Methusalem sich heuer mit 39 Jahren auf die Europameisterschaft 2000 vorbereiten muß.

Dies tut er in New York, wo er fortan in der US-Operetten-Liga für Altstars ("I come to you to play Soccer") auf Beckenbauers Spuren wandeln wird. Gemeinsam mit Maren, einer knackig-jungen Blondine aus bestem Hause, denn mit Erfolg machte Lothar, der robuste Nimrod, dem Töchterlein des Bayern-Vereinsarztes Müller-Wohlfahrt den Hof. Was nach einem Jahr USA sein wird, läßt Lothar Matthäus offen: vielleicht hängt er noch ein Jahr Bundesliga dran, vielleicht wird er sofort Trainer, am besten bei den Bayern oder gleich beim DFB.

Oder er wird Manager, Popstar, Schauspieler, wer weiß. "Mal schau’n", wird "Kaiser" Beckenbauer dazu sagen, Und der hat ja bekanntlich immer recht. Gewiß wird Matthäus der fußballsportinteressierten Nation noch jahrzehntelang erhalten bleiben. Der "Kaiser" geht flugs auf die sechzig zu, Mayer-Vorfelder wird das Greisenalter noch schneller erreichen als Egidius Braun, den er im obersten Amt des Deutschen Fußball-Bundes beerben wird; Bundestrainer Ribbeck wird nach einer womöglich mißlungenen EM im Frühsommer 2000 unversehends in Rente gehen müssen, Sammer aber nie ein Mann des grellen Rampenlichts werden.

Eines nicht mehr allzu fernen Tages wird aus "Loddar" der Lothar geworden sein; dieser Lothar wird dann englisch parlieren, Golf spielen und im Vorstand von Bayern München sitzen. Vielleicht wechselt Lothar, der nationalbewußte, sogar in die Politik – ein Schritt, der seinem Mentor, dem Kitzbühler "Kaiser", zu gewagt erschien. Matthäus ist mehr als Matthäus: er ist der erste Profifußballer der Bundesliga, der die Gesetze der Mediengesellschaft verstanden hat, der sie vorbehaltlos akzeptiert und die Fähigkeit beherrscht, sich zur Erreichung seiner persönlichen Ziele ihrer Klaviatur zu bedienen. Hey Kids! Von Matthäus lernen heißt siegen lernen.


 
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