© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/00 17. März 2000

 
Konservatismus: Ein Gespräch mit dem Verleger Michael Ludwig
"Das Pendel wird zurückschlagen"
Moritz Schwarz

Herr Ludwig, durch die Krise der CDU sieht man nun den Konservatismus in Deutschland ebenfalls in Frage gestellt. Teilen Sie diese Sicht?

Ludwig: Ja, die CDU – vor allem aber ihr ehemaliger Vorsitzender Helmut Kohl – hat den Konservatismus hierzulande in eine tiefe Krise gestürzt. Ich fürchte, das "System Kohl" trägt maßgeblich dazu bei, daß die Union in den nächsten acht Jahren keine Bundestagswahlen mehr gewinnen wird. Mit meiner Antwort unterstelle ich, daß es sich bei der CDU um eine konservative Gruppierung handelt, was allerdings erst noch zu beweisen wäre. Auf jeden Fall haben Kohl und Kanther den Begriff "konservativ", in dem sich ja deutsche Tugenden wie Ehrlichkeit und Gesetzestreue bündeln, regelrecht verhunzt.

Handelt es sich denn bei der CDU überhaupt noch um eine konservative Gruppierung? Oder hat sie den Konservatismus nicht schon sehr viel früher in die Krise gebracht?

Ludwig: Was den zweiten Teil Ihrer Frage betrifft – allerdings. Wenn Sie die 16 Jahre Kohl-Herrschaft vor Ihrem geistigen Auge Revue passieren lassen, dann werden Sie feststellen, daß die sogenannte Sozialdemokratisierung der CDU kein leeres Schlagwort ist. Unter Kohls Kanzlerschaft erreichte der Zuzug von Ausländern ungeahnte Spitzenwerte, die Sozial- und Familienpolitik hätte genauso gut im Erich-Ollenhauer-Haus entwickelt werden können. Deutsche Interessen mußten uns die Alliierten buchstäblich von den Lippen ablesen, so leise und vorsichtig wurden sie formuliert. Und schließlich drückte uns Kohl noch den Euro aufs Auge, der, entgegen allen regierungsfrommen Prognosen, schwächelt wie ein schwindsüchtiges Baby. Bei der CDU handelt es sich um eine Partei der Mitte mit konservativen Einsprengseln. Unter wirklich konservativ stelle ich mir etwas anderes vor.

Die CDU sieht sich als Nachfolgerin der christlichen Mitte. Hat sie überhaupt einen historischen Anspruch auf den Konservatismus?

Ludwig: Meines Erachtens hatte sie ihn, aber sie hat ihn zwischenzeitlich verwirkt. Ich denke, Konrad Adenauer stand in der Tradition einer christlichen Mitte, die zugleich als konservativ gelten konnte. Aber auch der "Ochsen-Sepp", wie wir in Bayern den Gründer der CSU, Josef Müller, nannten, fällt mir in diesem Zusammenhang ein. Eugen Gerstenmeier, Karl Carstens und Franz Josef Strauß wären ebenfalls zu nennen. Gemeinsam waren sie tief in den Traditionen des christlichen Abendlandes verwurzelt und verloren seine Werte beim politischen Handeln nicht aus den Augen. Die Kulturrevolution von 1968 hat die christlichen Vorstellungen hinweggefegt, auch bei der CDU. Rita Süssmuth mag bei noch sovielen Kirchentagen auftreten und fromme Reden schwingen, ihren politischen Standpunkt hat sie dem herrschenden Zeitgeist geopfert.

Wie definieren Sie Konservatismus?

Ludwig: Konservativ heißt wörtlich übersetzt bewahrend. Wenn man so will, könnte man jemanden konservativ nennen, der herrschende politische und gesellschaftliche Strukturen erhalten will. Das Paradoxe an unserer Zeit ist jedoch, daß die wirklich Konservativen heute die Linken sind, zumindest in der Wirtschaft. Die Gewerkschaften und weite Teile der SPD wehren sich mit Händen und Füßen gegen jedwede Änderung. Für sie gilt: Hauptsache, wir bewahren unsere Besitzstände. Das macht unser System so unflexibel. Wenn das so weitergeht, sehe ich schwarz für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wenn Sie mich nach meiner persönlichen Definition von Konservatismus fragen, so würde ich ihn als Spagat bezeichnen, der das Gestern mit dem Morgen verbindet. Das heißt, Werte, die sich über Generationen bewährt haben, sollen auch in Zukunft gültig sein. Das unterscheidet den Konservativen vom Linken. Der Linke vertritt die Überzeugung, daß das Gute ausschließlich in der Zukunft zu finden sei; die Vergangenheit definiert er lediglich als eine Ansammlung bitterer Irrtümer und Verfehlungen, die es auszumerzen gilt.

Inwiefern bringen Sie das in Ihrer Zeitschrift "Gegengift" zum Ausdruck?

Ludwig: Wir versuchen, das klar und verständlich zum Ausdruck zu bringen, ohne das konservative Spektrum einzugrenzen. Wenn Sie so wollen, versteht sich Gegengift als eine ins Konservative gewendete Weltbühne, das heißt, wir haben uns das legendäre "Blättchen" von Siegfried Jacobsohn, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky zum Vorbild genommen. Die Weltbühne vertrat in der Weimarer Republik einen politisch prononciert linken Standpunkt. Das war gut so, denn damals drohte die Gefahr von der radikalen Rechten. Heute ist das anders. Die Gefahr kommt von links. Deshalb versuchen wir, konservativ gegenzusteuern.

Welches Verhältnis hat der Konservative zur Macht und was bedeutet "wertkonservativ"?

Ludwig: Wer politisch tätig ist, strebt nach der Macht. Wenn das auf demokratische Weise abläuft, ist nichts dagegen zu sagen. Linke und Rechte tun das gleichermaßen, wenngleich man konstatieren muß, daß die Linken da sehr viel unverfrorener zur Sache gehen. Der herrschende gesellschaftliche Konsens grenzt die Konservativen, die demokratischen Rechten zu einem erheblichen Teil aus dem öffentlichen Leben aus. Sie mit Ihrer Zeitung wissen ja ein Lied davon zu singen. Als einen Konservatismus der Werte sehe ich beispielsweise Fleiß, Pünktlichkeit und Gesetzestreue. Leider hat sie der Zeitgeist obsolet gemacht, aber wir sollten alles tun, sie wieder zum Leben zu erwecken.

Konservatismus ist komplex, also eher nur einer Minderheit wirklich verständlich. Hat also Konservatismus in der Demokratie überhaupt eine Überlebenschance?

Ludwig: Im politischen Alltag gilt es, die Begriffe mit praktischen Argumenten zu füllen. Warum bin ich zum Beispiel gegen das Haacke-Kunstwerk im Berliner Reichstag und den Euro? Was kann ich konkret dagegen tun? Wenn die Konservativen den Mut finden, sich von den Machtansprüchen der herrschenden politischen Klasse zu emanzipieren und offen und mutig ihre Meinung sagen, dann wären wir ein beträchtliches Stück weiter. Im Grunde genommen sind wir Deutsche ein eher konservativ geprägtes Volk, im Gegensatz etwa zu den Franzosen, die ganz gerne mit revolutionären Funken zündeln.

Wie kann ein Konservatismus der Zukunft aussehen?

Ludwig: Wenn ich das wüßte, würde ich in die CDU eintreten und versuchen, Parteivorsitzender zu werden. Aber mal im Ernst: mir fehlt die Gabe zur Prophetie und wie ein Konservatismus der Zukunft aussehen könnte, hängt von mehreren Faktoren ab, zum Beispiel davon, wie es in Deutschland wirtschaftlich weitergehen wird. Gegenwärtig befinden wir uns auf dem Weg in die postmoderne Gesellschaft und das mit atemberaubender Geschwindigkeit. Unter dem Begriff der Postmoderne verstehe ich die Überzeugung, daß es keine Gewißheiten mehr gibt; daß sich niemand mehr im Besitz der allein seligmachenden Wahrheit wähnen darf. Das führt konsequenterweise zu der Annahme, alle Dinge besäßen den gleichen Wert. Wenn aber alle Dinge gleich viel wert sind, so sind sie im Grunde genommen wertlos, sie sind beliebig und somit austauschbar. Es gibt nichts mehr, wofür sich zu kämpfen lohnte. Langfristig würden sich jedoch die Stärkeren durchsetzen, denn für sie gibt es noch einen Wert: sich selbst. Ob das die postmodernen Werte-Planierer wissen? Hier könnte ein Konservatismus der Zukunft ansetzen. Der Atomisierung des Einzelnen müßte ein Gemeinschaftsgefühl entgegengesetzt werden, denn Mensch sein bedeutet immer mit anderen sein. In diesem Zusammenhang könnte dann ein neues Verantwortungefühl entstehen: für den anderen, für die Gesellschaft, für die Natur und die Erde.

Ist die Konservatismus-Frage in der CDU und in Deutschland ein Generationenproblem?

Ludwig: Nein, das glaube ich nicht. Konservativ zu sein, ist für mich keine Frage des Alters. Sehen Sie Rita Süssmuth und Heiner Geißler an, die sind schon relativ betagt und alles andere als konservativ. Auf der anderen Seite stehen die sogenannten jungen Wilden, die mein Freund Heimo Schwilk einmal als die "neuen Milden" bezeichnet hat. Ich glaube, daß Geschichte dialektisch verläuft. Nach der konservativ geprägten Ära der Adenauer-Zeit brach sich die linke Revolte von 1968 Bahn. Sie hat sich ihre intellektuelle Dominanz bis heute bewahrt, aber langsam beginnt sie zu erodieren. Die Leute haben von der political correctness ganz einfach die Schnauze voll. Und so bin ich voller Hoffnung, daß in absehbarer Zeit das Pendel zur konservativen Seite hin wieder ausschlagen wird.

 

Gegengift: Mit spitzer Feder "Von des Gedankens Blässe angekränkelt" diagnostiziert bekanntlich Hamlet sein verhängnisvolles Leiden. "Von des falschen Gedankens" würde wohl der gemütvolle Bayer Michael Ludwig ergänzen. Deshalb hat der Verleger und Publizist seiner ursprünglich literarisch geprägten Zeitschrift Gegengift einen immer stärkeren Anteil "Politik und Kultur" beigemengt. Heute wirkt das mit spitzer Feder verabreichte Gegengift (Edition Coko, Raiffeisenstr. 24, 85276 Pfaffenhofen) in einer Dosis von 32 Seiten und einer Anwendungshäufigkeit von zweimal monatlich besonders wirksam gegen Zeitgeisterkrankung und libertären Substanzschwund. 1988 mischte Ludwig aus Liebhaberei an der Arbeit in seinem literarischen Kräutergarten sein erstes Rezept, das er stetig verfeinerte. Inzwischen brauen diverse prominente Küchenmeister an dem exquisiten Kräutersud und verleihen dem Elixier eine kräftige konservative Würze: Karlheinz Weißmann, Ulrich Schacht, Heimo Schwilk, aber auch Richard Christ von der 1993 eingestellten linken Weltbühne oder der zum Islam konvertierte Alt-68er-Hippie Hadayatullah Hübsch. Fürwahr also ein potentes Mittelchen, das in keiner Hausapotheke fehlen sollte.

 

Michael Ludwig, in Bremen 1948 geboren, stammt aus einem konservativ-christlichen Elternhaus. Nach der Schulzeit volontierte der Sohn eines Journalisten und einer Verlegerin bei der Nordsee-Zeitung in Bremerhaven und der tz in München, wo er anschließend vier Jahre lang als Nachrichtenredakteur arbeitete. Danach wechselte er zum Pfaffenhofener Kurier und später zum Bayerischen Rundfunk als politischer Redakteur. Seit 1986 ist er Mitherausgeber des Pfaffenhofener Kurier.


 
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