© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/00 17. März 2000

 
Geschichte: Karl Höffkes sammelt Zeugnisse aus der NS-Zeit
Authentische Aufnahmen
Wilhelm Günther

Die Jahrtausendwende hat uns eine Flut von Rückblicken auf jene Ära präsentiert, die man gemeinhin als das "dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte" bezeichnet. Ob "Spiegel-TV"-Serien oder die von TV-Professor Guido Knopp gelieferten populären Porträts von NS-Größen: an Dokumentationen zum Dritten Reich ist derzeit kein Mangel. Und das Bedürfnis danach wächst, denn mit dem Verschwinden der Zeitzeugen beginnen die zwölf Hitler-Jahre in die Historie zu versinken.

Um so eindrucksvoller ist ein Unternehmen, das sich seit zehn Jahren mit dem Sammeln von unveröffentlichtem Filmmaterial beschäftigt. Karl Höffkes, Historiker und Mitinhaber der Dortmunder Firma "Polar-Film", hat mehr als 1.000 Augenzeugen zur deutschen Geschichte zwischen 1914–1946 befragt, 1.500 Stunden Gespräch in Wort und Bild aufgezeichnet. In seinem "Historisch-Wissenschaftlichen Film- und Bildarchiv" befinden sich zudem etwa 40.000 private Originalfotos aus den Jahren 1932–45. Für den wichtigsten Archivbestand hält Höffkes aber die rund 100 Stunden privat gedrehter 8-mm- bzw. 9,5-mm-Filme aus den Jahren 1920 bis 1945.

Unter dem Titel "Jenseits der Propaganda" hat Karl Höffkes jetzt Alltagsszenen aus der NS-Zeit und Aufnahmen von den verschiedenen Kriegsschauplätzen zu einem lehrreichen Videofilm montiert (Jenseits der Propaganda – Unveröffentlichte private Filmaufnahmen aus den Jahren 1930– 1945; erschienen bei Polar Film).

Anders als die offizielle Propaganda, der es vor allem darum ging, die totale Vereinnahmung der Menschen, ihre Mobilisierung heroisch ins Bild zu setzen, zeigen die Szenen dieses Films vor allem auch den Fatalismus der angepaßten Mitmarschierer. Oft wirken die Hakenkreuz-Fahnen und -Ensemble wie Staffage, unter der sich die vertrauten Rituale von Gildenumzügen oder Volksfesten vollziehen, obwohl – wie im Falle eines ausführlich dokumentierten Heimatfestes in Peiskretscham bei Oppeln – SS- und SA-Kolonnen, Reichsarbeitsdienst, Hitlerjugend und BDM-Gruppen mitmarschieren. Für diejenigen, die diese Zeit nicht erlebt haben, dürfte der nachhaltigste Eindruck die beunruhigende Normalität sein, die von diesen Bildern ausgeht. Bisweilen wirken sie wie ein Beleg für Hannah Arendts These von der "Banalität des Bösen". Bei fast allen Aufnahmen, die die soldatischen Amateurfilmer am Rande der großen Schlachtfelder machten, in Unterkünften oder Biwaks, beim Essenfassen, der Morgentoilette, bei Kompaniefesten oder Ritterkreuzverleihungen, aus rollenden Zügen heraus oder von Panzern herab – der Schrecken des Krieges bleibt meist ausgespart.

Am ausführlichsten dokumentiert sind der Rußland- und Afrikafeldzug. Einmal tritt sogar der legendäre "Wüstenfuchs" Rommel ins Bild, mit entspanntem Lächeln und im Gespräch mit seinen Stabsoffizieren. Auch das Überschreiten der polnisch-russischen Grenze durch eine fröhlich radelnde deutsche Fahrrad-Kompanie hat etwas Erheiterndes – wären da nicht die Überreste eines deutschen Vorauskommandos, das von russischen Panzern zermalmt worden ist. Skifahrende russische Kinder und die niedlichen Panje-Schlitten könnten gleichfalls den Eindruck von Idylle vemitteln, schöben sich nicht immer wieder Kolonnen von russischen Gefangenen oder deutsche Gräber ins Bild, mit Landsern, die gesenkten Hauptes davor verharren.

Dreißig Minuten des Videos bestehen aus Farbfilm-Sequenzen – äußerst rare Aufnahmen, die ein besonders authentisches Bild jener Jahre vermitteln. Karl Höffkes Archiv ist schon heute eine Fundgrube und könnte bald zu einer wichtigen Quelle der Geschichtsforschung werden. Neben dem Bildteil enthält es auch eine umfangreiche Textsammlung mit unbekannten Dokumenten unter anderem zu Rudolf Heß, und Julius Streicher. Besonders interessant: Die Streicher-Erben haben dem Archiv ein aus dem Gefängnis herausgeschmuggeltes Romanmanuskript des Herausgebers der antisemitischen Hetz-Zeitung Der Stürmer überlassen. Es ist, wie der gesamte Nachlaß des früheren Gauleiters, wissenschaftlich noch nicht ausgewertet worden.

Von seinen Gesprächen mit NS-Zeitzeugen hat Höffkes Videos hergestellt; die Aufnahmen mit dem Sohn von Hitlers Außenminister Ribbentropp und Reichsjugendführer Arthur Axmann wurden noch nie gezeigt. Karl Höffkes sucht weiter dringend unveröffentlichte Filmaufnahmen aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts: "Private Filme sind dabei ebenso interessant wie spektakuläre Kriegsaufnahmen. Eine Generation tritt ab, und die Erben werfen diese Filmrollen allzu schnell auf den Müll." Wer auf seine Aufzeichnungen nicht verzichten wolle, könne diese auch unentgeltlich kopieren lassen, um sie der Forschung bzw. Filmverwertung zugänglich zu machen. Leser, die über solches Material verfügen, können sich an folgende Adresse wenden: Historisch-Wissenschaftliches Film- und Bildarchiv, Karl Höffkes, Telefon: 0172 / 210 40 27, Fax: 028 66 / 18 92 55

Das Video "Jenseits der Propaganda", Länge: 105 Minuten, kostet 39,95 DM und kann über den JF-Buchdienst bezogen werden.


 
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