© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/00 17. März 2000

 
Theater: Gounods "Faust" an der Bayerischen Staatsoper
Casanova statt Faust
Werner Veith

Wer zu depressiven Gedanken neigt, sollte öfter in die Bayerische Staatsoper gehen. Beispiel: Die Premiere von Gounods "Faust" – für Augenblicke fühlt man sich am Eingang des Paradieses. So schön und melodisch ist Charles Gounods Musik. Damit man nicht allzustark ins süßliche Träumen kommt – und genüßlich einschläft – dafür sorgt die Dirigentin Simone Young. Sie legte ein zügiges Tempo im Orchestergraben vor. Und das war auch notwendig, sonst hätte das Ganze mehr als vier Stunden gedauert, fast wagnerianische Ausmaße angenommen.

Grund dafür ist nicht nur Charles Gounods ausschweifende Komposition, sondern auch der Regisseur David Pountney. Er entschied sich für eine frühe Variante der Faustoper, die 1859 in Paris uraufgeführt wurde. Diese Variante ist gepaart mit deutschen Sprechdialogen, die per Tonband eingespielt werden. Poutney präferiert diese Spielart, weil "in französisch zu singen für Opernsänger schon recht schwierig ist, aber französisch zu sprechen fast unmöglich ist". So ist jedem Opernsänger eine fast identische Puppe gegenübergestellt, die dann in Aktion tritt, wenn das Tonband loslegt. Zuschauergemurmel gab es bei einigen Puppenszenen, wenn sie allzu albern ausfielen ("Ich glaub’ ich bin im falschen Film"). "Kitsch" tönte es aus dem ersten Rang.

Der Streit um die echte Originalfassung von Gounods "Faust" ist müßig, wie er beispielsweise in dem Internetforum Opera-L geführt wird. Selbst wenn Gounods Erben bereit wären, das "Original" zu veröffentlichen – was wäre damit gewonnen? Kann das "Original" über die richtige Aufführungspraxis entscheiden? Genausowenig konnte Martin Heidegger die Verwirrungen in der abendländischen Philosophie dadurch beseitigen, daß er den ursprünglichen Sinn griechischer Fachausdrücke betonte. Und bei Gounod hilft der Glaube an die Unverfälschtheit des Ursprungs auch nicht weiter. Man findet nur einen Wust von Varianten, ein Gewusel von Spielarten mit gesprochenen Dialogen, dann wieder ohne Dialoge, mit Ballet, ohne Ballet.

Nach Aussage von Regisseur Poutney war Gounod ein sehr offener und weicher Mensch, ging auf die Wünsche der Operndirektoren ein, so daß es zu ständigen Bearbeitungen kam. Änderungen für Paris, Änderungen für London (wo er einen Walzer zufügt), Straßburg, 1869 wurden schließlich Balletteinlagen komponiert.

Nur der Anfang ähnelt Goethes Faust. Schon als die Helfer des Teufels Faust eine Schönheitsoperation verpassen und ihm neue Organe einpflanzen, werden die Unterschiede klar. Und schon verzweifelt der junge Faust nicht mehr an der Philosophie, sondern giert nach jungen Mädchen: "Ich will die Jugend! Das ewige Glück, junge Mädchen! ... heftiger Triebe, verrückte Orgien von Herz und Sinnen". Nachdem der Pakt mit dem Teufel besiegelt ist, läßt Mephisto Margarete erscheinen. Aber nicht am Spinnrad, sondern an der Waschmaschine – blond, liebreizend und naiv – im Stil der fünfziger Jahre. Marcelo Alvarez (38) als Faust war der Star des Abends. Zwar wirkte er zu Beginn etwas steif, doch je näher er Margarete kam, um so dynamischer und strahlener wurde seine Wunderstimme.

Im Zentrum der Handlung stand jedoch Angela Blasi als Margarete. (Nicht umsonst überlegte Gounod, ob er sein Werk "Faust und Margarete" nennen sollte.) Sie gibt dem Liebeswerben von Faust nach und gebärt ein Kind. Danach ist Faust unauffindbar, Margarete wird von ihren Mitmenschen verachtet. In ihrer Verzweiflung bringt Margarete ihr Baby um – in Pountneys Inszenierung legt sie es in einen Großfamilienkühlschrank. "Geschmacklos" schrie ein Zuschauer. Postwendende Antwort: "Das steht im Libretto, du Depp."

Als Margarete in der Kirche um Vergebung betet, im Kühlschrank knieend, umkreisen sie grimmig dreinblickende Riesen-Kardinäle und ein Chor, der mal für den Himmel, mal für die Hölle singt. Schließlich fährt sie gen Himmel, auf dem Schoß von Mephisto, der seine Karriere als Rummelplatzzauberer schon lange beendete und sich stattdessen im Rollstuhl mit Sauerstoffmaske abquält.

Das Bühnenbild von Stefanos Lazaridis präsentiert die Oper als Boulevardtheater, in Volksfeststimmung, mit großen Menschenmassen (die unruhig auf und ab wandern), Eisenbahnwaggons und einer Walpurgisnacht im Irrenhaus (oder im Altersheim?).

Die anderen Figuren wie Valentin, Siebel, Wagner und Marthe Schwerdtlein konnten sich nur stimmlich profilieren. Für sie hat sich der Regisseur wenig einfallen lassen. Lediglich ihn und die Schöpfer der Puppenfiguren empfing nach der Aufführung ein Buh-Gewitter. Werner Veith

Karten für die Aufführung in der Staatsoper (Maximilianstr. 11, 80539 München) sind unter Tel. 089 / 21 85 19 20 und http://www.staatstheater.bayern.de/staatsoper   erhältlich.


 
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