© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/00 17. März 2000

 
"Green Cards": Schröders Expertenimport kaschiert kosmetisch strukturelle Mängel der deutschen Wirtschaft
Kurzfristiger Vorteil, langfristiger Nachteil
Folkmar Koenigs

Der Vorschlag von Bundeskanzler Schröder, 30.000 qualifizierte Informatiker aus den Oststaaten und Indien mit zeitlich begrenzter Arbeitserlaubnis nach Deutschland zu holen, erfreut zwar die Unternehmen und ist wieder sehr publikumswirksam, aber er ist sachlich falsch; denn damit würde ein kurzfristiger Vorteil durch große langfristige Nachteile erkauft.

Der gegenwärtige Personalmangel beruht einerseits auf dem starken Rückgang der Informatik-Sutdienanfänger in den letzten Jahren wegen der schlechten Berufsaussichten, weil die Unternehmen in dieser Zeit aufgrund der Konjunktur kaum Ingenieure einstellten, andererseits auf dem unerwartet hohen Bedarf als Folge der rasanten Entwicklung der Informationstechnologie und der Möglichkeiten ihrer Anwendung in den letzten Jahren; in gewissem Umfang auch auf der Schuld der Unternehmen, die diese Entwicklung nicht richtig eingeschätzt und nicht eine hinreichend langfristige Personalpolitik betrieben haben.

Es handelt sich aber nur um eine vorübergehende Mangellage. Es ist durchaus möglich, in etwa drei bis fünf Jahren diese Lücke ganz weitgehend zu schließen durch die berufliche Fortentwicklung der gegenwärtigen jungen Mitarbeiter der Unternehmen und durch Hochschul-Absolventen; denn seit kurzem steigt wegen der jetzt wieder guten Berufsaussichten die Zahl der Studienanfänger auf das Doppelte und mehr. Es ist jedoch kaum möglich, qualifizierte Fachkräfte nur für eine zeitlich begrenzte Tätigkeit in Deutschland zu gewinnen. Selbst wenn sie wegen der höheren Verdienstmöglichkeiten dazu bereit sein sollten, wird es ihnen dennoch aus verschiedensten Gründen gelingen, auf Dauer in Deutschland zu bleiben.

Durch die kurzfristige Anwerbung von 30.000 qualifizierten Informatik-Fachkräften würden also die Aufstiegsmöglichkeiten der gegenwärtigen jungen Mitarbeiter der Unternehmen weitgehend blockiert und die Einstellungschancen der jetzigen Studienanfänger sehr erheblich vermindert; denn ob der Bedarf entsprechend der in den nächsten Jahren zu erwartenden hohen Zahl der Sudienanfänger wächst, ist ungewiss. Wenn die ausländischen Fachkräfte nicht nur im technischen Bereich, sondern auch in den vielfach erforderlichen Formen der Zusammenarbeit mit Kunden eingesetzt werden sollen, ergeben sich erhebliche zusätzlich Probleme.

Die Deckung des gegenwärtigen hohen Bedarfs sollte daher in erster Linie durch die nachstehenden Maßnahmen angestrebt werden: Weitere interne und externe Qualifizierung der gegenwärtigen Mitarbeiter der Unternehmen; zusätzliche Ausbildung zur Zeit nicht ausreichend qualifizierter arbeitsloser Ingenieure und Physiker, Beschleunigung des Studiumabschlußes fortgeschrittener Studenten durch Lehrveranstaltungen in der vorlesungsfreien Zeit; bessere Ausstattung der betreffenden Bereiche der Hochschulen mit Lehrpersonal und Sachmitteln. Aufgrund der Möglichkeiten der Informatiktechnologie haben auch die Unternehmen die Möglichkeit, in gewissem Umfange ihren Bedarf dadurch zu decken, daß sie entsprechende Aufträge an Unternehmen oder Institute in den Oststaaten oder Indien vergeben, wie es zur Zeit schon geschieht. Ein Teil der für diese Maßnahmen erforderlichen Mittel könnte durch eine entsprechende Umschichtung der Mittel zur Arbeitsförderung im Etat der Bundesanstalt für Arbeit aufgebracht und den Hochschulen, anderen Ausbildungseinrichtungen oder den Unternehmen führen. Nur soweit durch diese Maßnahmen der dringende Bedarf nicht gedeckt werden kann, insbesondere an besonders hochqualifizierten Fachkräften oder erst in etwa zwei Jahren, sollte auf ausländische Fachkräfte für eine zeitlich begrenzte Tätigkeit in Deutschland zurückgegriffen werden, möglichst auf solche, deren Bereitschaft zur Rückkehr aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse und Interessen zu erwarten ist; unter anderem durch Absprachen mit den ausländischen Unternehmen oder Instituten über eine zeitweilige Abordnung ihrer Mitarbeiter nach Deutschland. Im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens bei der Erteilung befristeter Arbeitserlaubnisse können auch die Leistungen des betreffenden Unternehmens für eigene Ausbildung oder Förderung der Ausbildung durch Hochschulen oder Ausbildungseinrichtungen berücksichtigt werden.

Unabhängig von der Notwendigkeit, den Bedarf an Fachkräften der Informationstechnologie zu decken, ist es dringend geboten, die Einwanderung nach Deutschland wie in vielen anderen Staaten durch ein Gesetz zu regeln und die weitere Einwanderung von Menschen zu beschränken, die wegen fehlender oder zu geringer Qualifikation keine Aussicht auf Arbeit haben und oft auch nicht oder nur sehr schwer zu integrieren sind.


 
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