© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000


Deutsche Bahn: Regionalverkehr zwischen Umbruch und Ausverkauf
Fahrgast bleibt außen vor
Volker Kempf

Droht dem "Regionalverkehr der Ausverkauf?" Dies fragte die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands am vergangenen Donnerstag bei ihrem Hearing im Haus des Deutschen Städtetages in Berlin. Die wenige Tage später gemeldete Auslagerung von 10.000 Kilometer Nebenstrecken - vorzugsweise in den neuen Bundesländern - hat dieser Frage eine gesteigerte Aktualität beschert. Auch wird der regionale Schienen- und Bahnbusverkehr vom liberalen Markt der Europäischen Union verstärkt heimgesucht werden.

Bereits seit 1996 gilt für Nahverkehrsleistungen ein uneingeschränkter Wettbewerb. Die Bundesländer versprechen sich davon eine Senkung der Kosten im öffentlichen Personennahverkehr bei guter Qualität. Demgegenüber fordert die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands laut ihrer jüngsten Werbekampagne "Einen Pfennig mehr für Umwelt und Verkehr", den wohlgemerkt LKW per Maut leisten sollen. Doch nicht nur die Umwelt komme unter die Räder des Diktats einer Zweckoptimierung im freien Wettbewerb. Norbert Jansen, Vorsitzender der Gewerkschaft, der das Hauptreferat auf dem Hearing hielt, sieht vor allem Tarifverträge, aber auch Sicherheitsstandards sowie Qualitätskontrollen vor dem Ausverkauf. International agierende Billiganbieter werden die Unfähigkeit der Besteller, auf einheitliche Qualitäts- und Sozialstandards bei Ausschreibungen zu achten, ausnutzen, um in den deutschen Markt einzusteigen. Hinzu komme allgemein die mangelnde Kontrolle über die vertraglich festgelegten Leistungen. So werde die neue Wettbewerbssituation immer stärker auf dem Rücken der Beschäftigten und der Kunden des Nahverkehrs ausgetragen. Niedrige Löhne und Gehälter, weniger Service und Sicherheit durch Personalabbau für die Reisenden, das seien die konkreten negativen Auswirkungen. Gute Sozial- und Sicherheitsstandards hätten ihren Preis, der auch bezahlt werden müsse, appellierte Gewerkschaftsvertreter Hansen.

Demgegenüber strich Christian Homburg als Vertreter der DB Regio AG während der anschließenden Podiumsdiskussion heraus, es müsse unternehmerisch gedacht werden. Seine Devise lautete in Anspielung auf die Leitfrage des Hearings: "Den Regionalverkehr konkurrenzfähig halten, um ihn so vor dem Ausverkauf zu bewahren." Die Marktöffnung werde durchschlagen. Das Rad der Geschichte könne nicht zurückgedreht werden. Die Politik solle sich mit Reglementierungen eher zurückhalten. Kein Qualitätsstandard schütze schließlich die DB-Regio vor dem Wettbewerb, so Homburg weiter. Höhere Personallöhne würden zudem nicht mehr Sicherheit für die Kunden bedeuten. Unrentable Nebenstrecken müßten zur Wettbewerbsfähigkeit ausgegliedert werden, meinte Homburg.

Dies bedeutet, daß sich private Anbieter sowie Kommunen verstärkt in den Regionalverkehr einbringen müssen. In einigen Fällen ist der Schieneverkehr so defizitär, daß bei aller Effizienz und allen Zuschüssen aus Länder und Gemeinden Schienenstrecken stillgelegt werden müssen.

Einvernehmen bestand zwischen der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite während des Hearings darin, daß das Personal multifunktional eingesetzt werden müsse. Im Ausland seien auf diese Weise große Einsparungen erzielt worden. Für den Fahrgastverband Pro Bahn, der für die Interessen der Bahnkunden eintritt, betonte Karl Peter Naumann, daß der Fahrgast im Regionalverkehr keine Wahl zwischen verschiedenen Anbietern habe. Vielmehr müsse der Kunde akzeptieren, was auf politischer Ebene für ein Verkehrsanbieter ausgewählt werde. Hier liege das eigentliche Problem. Dies anzugehen, könne nur dadurch geschehen, daß der Fahrgastverband zwischen Besteller und Anbieter als weitere Partei in das Auswahlverfahren um das beste Preis-Leistungsverhältnis einbezogen werde.

Der Fahrgast als Kunde solle nach Ansicht aller Podiumsgäste im Mittelpunkt der Entscheidungen stehen. Angesichts dieser Einigkeit fragt sich allerdings, warum der zuständige Fahrgastverband nicht heute schon merklich in die Entscheidungen einbezogen wird. Ändert sich an diesem Umstand nichts, so wird die Bahn im Regionalverkehr sicher weiter effizient, aber keineswegs sicherer. Daß Nebenstrecken nicht nur ausgelagert, sondern teilweise auch stillgelegt werden müssen, wird man schwerlich der Deutschen Bahn anlasten können, die kein Staatsbetrieb mehr ist. Vielmehr lohnt in einer automobilen Gesellschaft nicht in jedem ländlichenWinkel ein Schienennetzt.


 
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