© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Nationalsozialismus: Ein Gespräch mit Jutta Rüdiger über den Bund Deutscher Mädel
"Jede Jugend muß ihren Weg finden"
Irmhild Boßdorf

Frau Dr. Rüdiger, Sie haben sich während Ihrer Studienzeit 1931 der nationalsozialistischen Bewegung angeschlossen. Was waren Ihre Motive?

Rüdiger: Was mich und viele Menschen meiner Generation bewogen hat, Nationalsozialisten zu werden, ist vor dem Hintergrund des verlorenen Ersten Weltkrieges zu verstehen. Das Versailler Diktat, wie wir es damals nannten, stellte so ungeheure Forderungen, daß wir fast bis heute hätten Reparationen zahlen müssen. Ich habe das Kriegsende als Achtjährige erlebt – dann kam eine Zeit des Hungers, des Elends, der Geldentwertung, der vielen Arbeitslosen, die teilweise in Lumpen herumlaufen mußten. Dazu kam für mich, ich lebte in Düsseldorf, die französische Besatzung. Sie hat mich stark geprägt, ich habe es als Demütigung empfunden, wie wir behandelt worden sind. Nach meinem Abitur habe ich in Würzburg studiert. Kommilitonen nahmen mich dort eines Tages mit zu einer Versammlung des nationalsozialistischen Studentenbundes. Dort begegnete mir das erste Mal der Name Adolf Hitler. Es wurde berichtet, er hätte als Frontsoldat im Ersten Weltkrieg die Erfahrung gemacht, daß in Not und Gefahr kein Geld und kein Adel hilfreich sei, sondern nur die Kameradschaft. Er sei der Ansicht, daß wir die Not, die uns das Versailler Diktat gebracht hätte und die Gefahr des dadurch bedingt wachsenden Kommunismus nur überwinden könnten, wenn wir alle in Kameradschaft zusammenstehen würden, sich die Nationalen und die Sozialen nicht mehr bekämpfen sollten. Im Grunde wollten doch alle das Beste für ihr Vaterland. Gemeinsam könnten sie den Kampf gewinnen in der Überwindung des Versailler Diktats und dessen Folgen. Das hat mich so überzeugt, daß ich in den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund eingetreten bin.

Wie kamen Sie als promovierte Psychologin noch zum BDM?

Rüdiger: Als ich 1933 mein Doktorexamen bestanden hatte, kehrte ich nach Düsseldorf zurück. Mein Bruder, der wegen seiner SA-Mitgliedschaft seine Stelle bei der AEG in Berlin verloren hatte, war ebenfalls wieder bei den Eltern gelandet. In der heute kaum noch jemand verständlich zu machenden Aufbruchsstimmung, die 1933 herrschte, wollte ich nicht abseits stehen. Mein Bruder vermittelte mir den Kontakt zum BDM. Sehr rasch bekam ich eine Schar von 50 Mädeln übergeben, mit denen ich dann Heimabend nach Gutdünken gemacht habe, da 1933 noch kein Schulungsmaterial vorlag. Bis 1935 war ich neben meinem Beruf als Psychologin ehrenamtlich im BDM tätig.

Sie sind im BDM sehr schnell aufgestiegen – schon 1937 wurden Sie Reichsreferentin. Wie sah der BDM aus, als Sie an seine Spitze traten?

Rüdiger: Meine Vorgängerin Trude Mohr hat erfolgreich die wesentlichen Grundsteine unserer Arbeit gelegt. Was war uns wichtig? Zum einen der Sport. Wir wollten eine gesunde Jugend, aber die Masse der Mädel hatte noch nie Sport gemacht, denn nur an höheren Schulen wurde er überhaupt unterrichtet. Wichtig war uns zweitens die sogenannte weltanschauliche Schulung. In ihr sollten der Jugend vor allem Vorbilder gegeben werden von Persönlichkeiten, gerade auch Frauen, im Einsatz für ihr Volk, sei es in politischer oder sozialer Hinsicht. Wir legten auch Wert darauf, die Entwicklung unseres Volkes und seines Brauchtums aufzuzeigen, letzteres zu erhalten und zu pflegen. Wesentlich war für uns die Kulturarbeit. Sie bestand aus der Werkarbeit, die sehr abwechslungsreich gestaltet wurde. Teilweise haben die Mädel ihre eigenen Heime eingerichtet. Baldur von Schirach nannte dies die "erzieherische Macht des Raumes". Ferner gehörten dazu das Musizieren, vom Singen über Chor bis zum Orchester und das Laienspiel.

In Ihre Amtszeit fällt die Gründung des berühmt gewordenen BDM-Werkes "Glaube und Schönheit". Wie kam es dazu?

Rüdiger: Ich war erst ganz kurz im Amt, als ich dem Reichsjugendführer Baldur von Schirach vortrug, daß ich anhand meiner psychologischen Kenntnisse zu der Überzeugung gelangt sei, die älteren Mädel müßten anders angesprochen werden als die jüngeren. Wenn diese gelernt hätten, sich in die Gemeinschaft einzufügen, dann sollten sie ab 17 auch die Möglichkeit zur persönlichen Entwicklung erhalten. Schirach war davon beeindruckt und bat mich, diesen Gedanken weiterzuentwickeln. Er prägte später das Wort "Die gemeinschaftsgebundene Persönlichkeit" als Ziel der letzten Entwicklungsstufe. Am 1.Januar 1938 sprach ich im Rundfunk darüber; zwei Wochen später sagte Schirach mir, daß sich die Reichsfrauenführerin, Gertrud Scholtz-Klink bei Rudolf Heß, dem Stellvertreter des Führers, über mich beschwert habe, da ich über die Jahrgänge gesprochen hätte, die eigentlich zur NS-Frauenschaft gehörten. Das stimmte aber nicht. Seit 1932 war organisatorisch bestimmt, daß man unverheiratet bis 21 im BDM blieb. Schirach sagte mir: "Ich stelle mich vor Dich, und wir machen jetzt etwas ganz Besonderes daraus, eine Untergliederung der 17- bis 21jährigen Mädel innerhalb des BDM und geben ihr den Namen "BDM-Werk ’Glaube und Schönheit‘". Die Nachricht von der Gründung des BDM-Werkes wurde damals von der gesamten Weltpresse aufgegriffen.

Wie war die Zusammenarbeit zwischen HJ und BDM?

Rüdiger: Wir waren in die Hitlerjugend eingegliedert, was ich auch als eine sinnvolle Regelung empfand. Schirach sagte, der BDM sei selbständig bis in die Spitze, und tatsächlich konnte ich immer nach meinen Vorstellungen schalten und walten. Er hat mir nie einen Befehl, sondern allenfalls Ratschläge erteilt. Er war ein sehr kluger, eigentlich sogar ein genialer Mensch, und seine Ideen waren meist sehr überzeugend. Daher hatte ich nie ein Problem damit.

Gab es auch gemeinsame Veranstaltungen?

Rüdiger: Ja, beispielsweise bei Kulturveranstaltungen, in Spielscharen und bei der jährlich stattfindenden Reichskulturtagung in Weimar. Aber der eigentliche Dienst und die Jugendlager waren vollkommen getrennt. Es gab aber eine gute Zusammenarbeit zwischen BDM und HJ, die sich vor allem im Krieg auszahlte. Da die HJ-Führer an der Front waren – 90 Prozent der höheren Ränge von ihnen sind gefallen – wurden die Dienststellen zusammengelegt und die Arbeit für die Jungen teilweise vom BDM mit übernommen, so zum Beispiel beim Sport.

War die Mitgliedschaft in der HJ Pflicht?

Rüdiger: Es gab eine Jugenddienstpflicht, die aber eher unfreiwillig entstanden war: Die damalige Reichswehr wollte die Jungen in einer eigenen "Reichsjugend" militärisch ausbilden. Es gab sogar bereits jemanden, der sich mit der Wehrmacht heimlich darüber verständigt hatte, deren Führung zu übernehmen. Erst nachdem Schirach Hitler diesen Plan vorgetragen hatte, ist – um eine neue Aufspaltung der Jugend zu verhindern – 1936 das Gesetz erlassen worden, wonach die gesamte deutsche Jugend in der Hitlerjugend körperlich, geistig und sittlich zu erziehen sei. Die Jugenddienstpflicht wurde aber nicht gleich durchgesetzt. Im Krieg wurde sie erstmalig angewandt, zum Beispiel beim Ernteeinsatz.

Eines der gängigen Vorurteile über die Mädchenerziehung im Dritten Reich lautet, daß sie schon früh auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet worden wären...

Rüdiger: Als Frau Scholtz-Klink, die Führerin der NS-Frauenschaft, einmal sagte: "Jedes Jungmädel ist schon ein kleines Mütterle", haben wir aufgeschrien. Die Erziehung zur Frau und Mutter wurde bei uns nicht groß geschrieben: Wir wollten statt dessen jedes Mädel seinem Alter entsprechend behandeln in der Ansicht, daß ein gesundes Mädel auch einmal eine gesunde Mutter würde.

Welches Leitbild der Frau vertraten Sie?

Rüdiger: Die spätere Frau sollte Kameradin und Lebensgefährtin des Mannes sein, aber auch die Trägerin von Kultur, Sitte und Sittlichkeit, ob verheiratet oder nicht. Unverheiratete wurden genauso respektiert. Es wurde großer Wert darauf gelegt, daß alle eine richtige Berufsausbildung, entweder Lehre oder Studium, mit Erfolg durchliefen. Das galt selbstverständlich auch für die männliche Jugend, aber für die weibliche war es doch viel einschneidender, denn bis dahin gab es im Prinzip immer noch die Zweiteilung in die höhere Tochter einerseits und die ungelernte Arbeiterin andererseits.

Ihre Arbeit wurde im Ausland stark beachtet. Welche Kontakte gab es hier?

Rüdiger: Wir haben im Gegensatz zu heutigen Behauptungen sehr eng mit ausländischen Organisationen zusammengearbeitet. Vor dem Krieg gab es Austauschlager sogar mit den Engländern. Wir wollten natürlich auch den Auslandsdeutschen die Möglichkeit bieten, Deutschland kennenzulernen und haben sie zu Lagern eingeladen. Auch mit den Grenzlanddeutschen – wir nannten sie Volksdeutsche – die in den Gebieten lebten, die nach dem Ersten Weltkrieg von Deutschland abgetreten werden mußten, hatten wir Kontakt. Im Krieg waren die Flamen sogar vollkommen in die HJ integriert. Aus diesen guten Erfahrungen entstand aufgrund einer Initiative Baldur von Schirachs die Idee, einen "Europäischen Jugendverband" zu gründen, was dann 1942 in Wien auch geschah. 14 Nationen waren vertreten, natürlich fehlten diejenigen, die im Krieg auf der anderen Seite standen. Für die verschiedenen Felder der Jugendarbeit wurden Arbeitsgemeinschaften gebildet, um Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. Das schloß aber eine Einmischung in die inneren Verhältnisse der Jugendorganisationen eines Landes aus. Derjenige, der auf dem jeweiligen Gebiet Experte war, wurde zum Präsidenten gewählt. Diese beinahe demokratischen Ansätze haben bei den alten Parteileuten nicht unbedingt Begeisterung ausgelöst. Goebbels spottete darüber, daß die "Pimpfe in Wien Parlament spielen" würden. Bei der Arbeitsgemeinschaft "Weibliche Jugend" gab es noch dazu gleich drei Präsidentinnen an der Spitze: aus Spanien Pilar Primo de Rivera, eine ganz phantastische Frau, mit der ich mich sehr gut verstanden habe, Penelope Testa aus Italien und mich. Unsere Zusammenarbeit war sehr harmonisch. Es waren hier ausgesprochen nationale Jugendverbände miteinander vereint. Sie kamen deshalb so gut miteinander aus, weil jeder die Eigenart des anderen anerkannte und ihm zugestand, für sein Volk einzustehen.

Der Europäische Jugendverband entstand mitten im Krieg. Wie hat dieser Krieg die Arbeit des BDM verändert?

Rüdiger: Das war natürlich örtlich sehr verschieden. Schon die Jungmädel, deren Mütter in Fabriken arbeiten mußten und deren Väter an der Front waren, beteiligten sich, indem sie kleine Kinder im Kinderwagen ausfuhren und Spiele mit ihnen machten. Die älteren Mädel haben in Kindergärten ausgeholfen, in Geschäften mit verkauft, Lebensmittelmarken aufgeklebt, bei der Post Briefe und Pakete ausgetragen. Nach Fliegerangriffen beteiligten sie sich daran, Verschüttete und Tote auszugraben und die Trümmer zu beseitigen. Überall, wo die Männer fehlten, haben die Jugendlichen die Arbeiten übernommen, die sie erledigen konnten.

Was bedeutete der "totale Krieg" für den BDM?

Rüdiger: Gegen Kriegsende wollte Martin Bormann noch ein Frauenbataillon aufstellen. Als Artur Axmann, der Nachfolger Schirachs im Amt des Reichsjugendführers, mir das mitteilte, antwortete ich ihm, daß ich nicht daran dächte. Frauen seien nicht geeignet, mit der Waffe in der Hand zu kämpfen. Bis in die vordersten Linien hinein könnten sie vielleicht helfen und Sanitäts- und Verwundetenbetreuung übernehmen. Aber ein verpflichtender Waffendienst käme nicht in Frage. Ich habe nur ganz zum Schluß erlaubt, daß die Mädel im Pistolenschießen ausgebildet wurden, um sich in äußerster Not selbst verteidigen zu können – oder auch sich selbst zu erschießen.

Sie haben eine Generation mit geprägt. Was hat diese Zeit uns heute zu sagen?

Rüdiger: Ich kann nur sagen, daß jede Jugend ihren Weg für sich gehen muß, aus ihrer Zeit heraus, so wie wir zum Beispiel durch den Versailler Vertrag geprägt worden sind. Der Nationalsozialismus ist nicht wiederholbar. Man kann nur die Werte übernehmen, zu denen wir gestanden haben: Kameradschaft, Einsatzbereitschaft des einen für den anderen, Tapferkeit, Selbstdisziplin, Anstand, Sitte und nicht zuletzt Ehre und Treue. Davon abgesehen muß jede Jugend ihren Weg alleine finden.

 

Dr. Jutta Rüdiger wurde 1910 in Berlin geboren. Nach dem Studium der Psychologie wandte sie sich dem BDM zu und war von 1937 bis 1945 die Reichsreferentin des Bundes Deutscher Mädel (BDM) beim Reichsjugendführer. Bei Kriegsende wurde sie von den Amerikanern interniert, machte sich 1948 selbständig als Psychologin in der Unternehmens- und Berufsberatung. 1958 krankheitsbedingte Aufgabe der Praxis. Seither verfaßte sie mehrere Bücher zur nationalsozialistischen Jugendarbeit von BDM und Hitlerjugend.

Veröffentlichungen: "Die Hitlerjugend und ihr Selbstverständnis im Spiegel ihrer Aufgabengebiete" (1983), "Der Bund Deutscher Mädel, eine Richtigstellung" (1984), "Zur Problematik von Soldatinnen" (1987), "Ich diente der Jugend" (1999). Videokassetten: "Ich diente der Jugend", "Das BDM-Werk ’Glaube und Schönheit‘" (Zeitreisen, Bochum)

 

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