© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/00 24. März 2000

 
Kino I: Eva Heldmanns "fremd gehen"
Perverses preisgekrönt
Ellen Kositza

Von der Mittelmäßigkeit heutiger Kunst hat der Maler und Bildhauer Angerer der Ältere in der vergangenen JF-Ausgabe gesprochen, davon, daß heutige Kulturförderung der Unterstützung einer Negativauslese diene. Was einmal mehr zu beweisen wäre: Eva Heldmanns Film "fremd gehen", gefördert mit Mitteln der Hessischen Filmförderung, dann ausgezeichnet mit dem Hessischen Filmpreis 1999, wurde jetzt in Frankfurt vorgestellt.

In der Begründung der Jury für die Verleihung des Filmpreises heißt es, Eva Heldmann habe für den Diskurs über weibliche Sexualität "eine angemessene filmische Form zwischen eher klassischer Dokumentation und extrem subjektiver Kamera" gefunden. Es sind dies nicht die ersten Lorbeeren, die die Regisseurin, Jahrgang 1951, für ihre filmische Arbeit einstreicht, bereits 1994 wurde ihr der erste Preis des Lesbisch-Schwulen Filmfestes in Hamburg angetragen. Und nun, drei Jahre nach ihrem letzten (Kurz-)Film "My Tits" (Meine Titten), ein weiterer Griff in die Kiste des Morasts der Selbstentblößung um jeden Preis: Ein Dokumentarfilm über Heldmanns Freundin Annette Brauerhoch, der auf der diesjährigen Berlinale als "Film über die gar nicht so heimlichen Sexwünsche deutscher Akademikerinnen" präsentiert wurde.

Akademikerin Annette dürfte auf die 40 zugehen, blond, attraktiv – zwar nicht mehr prall, doch längst nicht welk ihr Körper. Annette hat ein Hobby, das eine ganze Menge ihrer Lebenszeit in Anspruch nimmt: Geschlechtsverkehr – wobei ihre Partner nach gestrengen rassischen Kriterien ausgewählt werden, pechschwarz müssen sie sein. Annette ist eine Kasernengängerin, Sex mit afroamerikanischen Besatzer-Soldaten ist ihr Lebenselixier.

Filmemacherin Heldmann zeigt in ermüdend langen, oft stummen Szenen Annette, zeigt das Kasernen-Ghetto mit den zugemüllten Stuben und ihren Bewohnern, wie sie Pommes und Hamburger kauend vor dem Fernsehen liegen, während Annette, noch nackt, wiederum ihre Super-8 auf die Männer richtet, die sich soeben auf ihr vergnügen durften. ("Manchmal", so Brauerhoch, "auch unter mir.") Dann wieder Frau Brauerhoch in der eigenen Wohung, typisch deutsch alles hier, der Anrufbeantworter läuft im Hintergrund "Hey baby, do you know where I wanna fuck you right now..." Untermalt werden die eher amateurhaft gefilmten Szenen von Brauerhochs Analysen über Krieg und Sex, Liebe und Gewalt, über die Kaserne als Bordell, das sie süchtig mache.

Thematisiert wird in den selbstreflexiven, immer wieder sich wissenschaftlich gerierenden Reden der Brauerhoch nie die Hautfarbe ihrer Bettgenossen, stets geht es in selbstvergessener Redundanz um das "nur Geschlecht-sein, nur sexuelles Wesen sein" in einer Männerwelt.

Brauerhoch und Heldmann berichten über diese "Fremdgänge" mittels eines Rückblicks, wobei unklar bleibt, warum dieses Leben mit zwei, drei verschiedenen Männern täglich eine vergangene Episode im Leben der Filmheldin ist. War etwa plötzlich Gewöhnungseinerlei eingetreten im ritusgewordenen fremdkoitieren? Oder liegt es daran, daß Ami-Kasernen auch im Rhein-Main-Gebiet sukzessive abgebaut werden?

Das Frankfurter Publikum jedenfalls applaudierte artig, Stirnen noch nachdenklich in Falten gelegt. Zwei Mädchen, die den Vorfilm "One-Pussy-Show" noch "voll witzig" fanden, waren schon früh gegangen. Frau Heldmann wollte dann diskutieren, über ihren preisgekrönten Film, der gemäß Einschätzung der Preisrichter "sich in bewußt unausgewogener Form sicherlich zur Zielscheibe von Angriffen jeder Couleur macht".

Eine gut gemeinte Provokation, möchte man Brauerhoch und Heldmann sagen, ihnen sanft über den Kopf streicheln und trösten: aber doch nicht mehr im Jahre 2000 …


 
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