© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/00 31. März 2000

 
Ethnische Konflikte: Stephan Maninger über Einwanderung und die Lehren aus dem Kosovo
Demographie als Waffe begreifen
Götz Kubitschek

Herr Dr. Maninger, als vor einem Dreivierteljahr der Kosovo-Krieg zugunsten der Nato entschieden war, warnten Sie neben anderen Experten aus dem angelsächsischen Raum davor, die Albaner als friedliebende Gutmenschen einzuschätzen, mit denen der Aufbau eines multikulturellen Kosovo geleistet werden könnte. Die Unruhen in Mitrovica scheinen Ihnen recht zu geben. Warum hat der Westen trotzdem die Lage bisher anders beurteilt?

Maninger: Das Kernproblem läßt sich so formulieren: Die meisten westlichen Politiker haben den Sprung vom Ideologiezeitalter ins Zeitalter der ethnischen Konflikte noch nicht geschafft. Natürlich gibt es beispielsweise innerhalb der EU unterschiedliche Meinungen zur Vorgehensweise im Kosovo, aber weiterhin dominieren die Konzepte des Ideologiezeitalters. Das wirkt sich dann auf militärische Strategien aus.

Was verstehen Sie unter Ideologiezeitalter?

Maninger: Im Kalten Krieg gab es zwei Pole, Ost und West, Warschauer Pakt und Nato. Vor dem Hintergrund des Ideologiekampfes dieser beiden Blöcke ließen sich alle Konflikte in ihrer Dynamik, ihrem Ausmaß und im Hinblick auf die beteiligten Parteien analysieren. Nach dem Zusammenbruch dieses bipolaren Schemas wurde rasch deutlich, daß ethnische Gruppen mehr und mehr ihre Interessen definieren und durchzusetzen beginnen, und dies völlig ideologieneutral. Das Kosovo bietet wiederum ein gutes Beispiel. Sie finden innerhalb der UÇK neben den Altstalinisten des Hoxha-Regimes und den Studenten der Universität Pristina auch die geistigen Nachfahren der 1. Albanischen SS-Division Skanderbeg. Und alle kämpfen gemeinsam für die Unabhängigkeit des Kosovo. Aber auch bei den Serben hat die gemeinsame Front aus Altkommunisten und Nationalisten eine ideologische Spaltung längst überwunden.

Woran läßt sich ablesen, daß der Westen den Kosovo-Krieg ideologisch angeht?

Maninger: Einfach daran, daß der Westen davon ausgeht, den Albanern und Serben ein multikulturelles Miteinander aufzwingen zu können. Dies geschieht ohne Rücksicht auf die Tatsache, daß wir es mit einem ethnischen Konflikt zu tun haben und eben nicht mit einem ideologischen. Der Westen betrachtet also die Serben und die Albaner nicht als zwei eigenständige ethnische Gruppen, sondern versucht, aus beiden Gruppen die guten Menschen von den bösen zu trennen und mit den Guten etwas Multikulturelles aufzubauen. Man ging ja sogar noch weiter und zeichnete die Albaner weiß, die Serben schwarz und schlug sich auf die Seite der Weißen. Das ist unzeitgemäß ideologisch. Ethnische Konflikte folgen einer anderen Dynamik.

Experten wie Samuel Huntington oder Martin van Creveld verweisen seit Jahren darauf, daß bestimmte multikulturelle Träume nicht in Erfüllung gehen können. Wo liegen die Grnde dafür, daß der Westen trotzdem daran festhält.

Maninger: Ich könnte es mir einfach machen und sagen, daß Ideologien das so an sich haben, sie sind gewissermaßen immun gegen Erfahrungswerte. Aber ich will noch einen Aspekt anführen: Der große Denkfehler des Westens liegt darin zu glauben, daß die eigenen Werte, das eigene Menschenbild und Demokratieverständnis überall auf der Welt geteilt werden oder wenigstens vermittelbar seien. Das ist ein Trugschluß. Die meisten Kulturbereiche verstehen zentrale Begriffe anders als wir. Daß der Westen nicht länger verbindlicher Begriffsgeber für die ganze Welt sein kann, läßt sich am Machtverfall der Vereinten Nationen ablesen. Ihr Interventionsrecht beruht auf unseren Werten und wird mehr und mehr in Frage gestellt.

Eine Ihrer jüngsten Veröffentlichungen trägt den Titel "Kosovo – Eine Frage der Lehre". Sie verwenden den Kosovo-Krieg als Paradigma für Konflikte der Zukunft. Läßt sich die konkrete Situation so einfach auf andere Schauplätze übertragen?

Maninger: Ich kann mich an Huntington halten. Er spricht von Bruchlinien, die zwischen unterschiedlichen Zivilisationen verlaufen. Der Balkan ist eine dieser Bruchlinien. Das Poblem ist nun, daß die moderne Form der Völkerwanderung diese Bruchlinien verpflanzt, aber nicht aufhebt. Ich will das verdeutlichen: Die Masseneinwanderung hat in vielen deutschen Großstädten bereits zu einer echten Viertelsbildung geführt. Die einzelnen Ethnien schotten sich voneinander ab und bilden ähnliche Bruchlinien wie die Huntingtons in kleinerem Maßstab nach. Man nennt das die Ethnisierung der Großstädte. Solche Bruchlinien provozieren Konfikte. Man könnte von Miniatur-Szenarios sprechen. Der Fall Öcalan ist ein gutes Beispiel: Die deutsche Regierung mußte ihre Außenpolitik im Sinne einer aktivistischen Ausländergruppe verändern. Damit war die volle Staatssouvernität in Frage gestellt. Aber damit werden sich die Regierungen der westlichen Welt mehr und mehr auseinandersetzen müssen.

Sie argumentieren in diesem Zusammenhang oft mit der Bevölkerungsentwicklung und behaupten, daß ein geburtenstarkes Volk allein aufgrund seiner jugendlichen Dynamik ethnische Konflikte für sich entscheiden wird.

Maninger: In der Tat ist es dringend an der Zeit, daß die westliche Welt die Demographie als Waffe begreift. Im Kosovo gibt es den Schlachtruf, daß die Bäuche der albanischen Frauen stärker seien als die Panzer der serbischen Soldaten. Die Logik ist einfach: Auch in Europa werden sich die ethnischen Spannungen alleine dadurch verschärfen, daß Einwanderergruppen deutlich mehr Kinder zur Welt bringen als die einheimische Bevölkerung. Und vielleicht möchten sich dann im Jahr 2020 in Südfrankreich bestimmte Regionen abspalten und Teil von Algerien werden oder unabhängig sein. Die westliche Welt geht immer noch davon aus, daß es zu solchen Forderungen nicht kommen kann. Sie unterschätzt dabei, daß es für viele Einwanderergruppen selbstverständlich ist, für ihr eigenes Land und ihre eigene Kultur Boden gutzumachen. Wenn das ganz bewußt geschieht, kann man von Ethno-Nationalismus sprechen.

"Demographie als Waffe" hört sich sehr nach gesteuerter Eroberung mittels Geburten an.

Maninger: Zuerst muß ich unterscheiden: Nicht alle Einwanderungsgruppen versperren sich einer echten Assimilation. Das hat mit der sogenannten kulturellen Kompatibilität zu tun, die sich auf ganz konkrete weltanschauliche Übereinstimmungen oder Differenzen bezieht. Knapp hunderttausend Hugenotten bereicherten Preußen tatsächlich und waren rasch eingegliedert, ebenso ein paar hunderttausend Polen im Ruhrgebiet. Aber ein Vergleich dieser Vorgänge mit der Masseneinwanderung von heute ist eben aufgrund mangelnder Kompatibilität entfernterer Kulturkreise unzulässig. Hier siedle ich auch den Begriff "Demographische Waffe" an: Untersuchungen zeigen, daß bestimmte ethnische Gruppen auch unter westlichem Lebensstandard nicht auf Kinderreichtum verzichten. Gefährlich wird das, wenn solche Gruppen kulturell nicht kompatibel sind. Ihre jugendliche Dynamik wird Konflikte provozieren. Dieser Vorgang läuft nicht gesteuert ab, und indem ich irgendwelchen verschwörungstheoretischen Argumenten schlichte ethnologische Erkenntnisse entgegensetze, habe ich Ihre Frage beantwortet. Man kann allenfalls von einer mehr oder weniger bewußten Brückenkopf-Mentalität sprechen, die zu einer Polarisierung mit dem Gastgeberland führt.

 

Dr. Stephan Maninger, geboren 1967, ist in Südafrika aufgewachsen und spricht Englisch als Muttersprache. Er studierte Politikwissenschaften in Johannes-burg, Spezialgebiet Ethnische Konflikte, und ist Absolvent des International Summer Course on National Security. Maninger arbeitete in Lesotho, Botswana, Swasiland, Namibia und Angola und schreibt für verschiedene englisch- und deutschsprachige Fachzeitschriften.

 

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