© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/00 31. März 2000

 
Atom- und Umweltpolitik: Ein Gespräch mit der BUND-Vorsitzenden Angelika Zahrnt
"Da ist manches schlecht gelaufen"
Volker Kempf

Frau Dr. Zahrnt, der BUND hat vor dem Grünen-Parteitag an die Delegierten appelliert, klare Signale zum Sofortausstieg auszusenden. Die Formel "Dreißig Jahre Gesamtlaufzeit" hat sich mit 396 zu 339 Stimmen deutlich durchgesetzt. Wie schmeckt Ihnen das?

Zahrnt: Es schmeckt mir nicht. Ich finde, daß die Grünen sich sehr schnell von dem Sofortausstieg, der noch 1998 ihr Wahlkampfslogan war, verabschiedet haben. Den jubelnden Beifall für die Sanktionierung der Regierungslinie mit dreißig Jahren fand ich etwas merkwürdig, und er ist für mich nur gruppendynamisch zu verstehen. Denn eigentlich ist das Ergebnis nun wirklich nichts, was man mit Beifall belohnen könnte. Für mich war das befremdend.

Sie wollten auf dem Parteitag erscheinen und Werbung für eine nachhaltige Energiepolitik machen. Haben Sie etwas erreichen können?

Zahrnt: Ich wollte ein Grußwort sprechen, habe diesen Wunsch aber wohl zu spät angemeldet, und Wortmeldungen konnte man sowieso nicht mehr unterbringen.

Und so sind Sie mit Ihrem Anliegen quasi unter den Tisch gefallen.

Zahrnt: Nein, wir haben ja den offenen Brief an die Delegierten verteilt. Wir hatten einen Stand auf dem Parteitag. Ich hätte dort gerne einen Redebeitrag mit einem Appell für den Sofortausstieg gehalten, aber das war nicht möglich. Auf der anderen Seite gab es ja durchaus auch Redebeiträge für den Sofortausstieg von den Bürgerinitiativen vor Ort, aber es war deutlich festzustellen, daß die nur wenig Resonanz gefunden haben und daß der Wille der Delegierten war, Regierungsfähigkeit und Geschlossenheit zu demonstrieren.

Und worauf wird jetzt der BUND in der Atompolitik der Bundesregierung besonders achten?

Zahrnt: Unser Ziel ist natürlich weiterhin, so schnell wie möglich aus der Atomenergie auszusteigen. Diese Laufzeitenlinie ist ja nur erstmal eine gemeinsame Linie der Regierungsparteien mit der sie mit der Industrie in die weiteren Verhandlungen gehen. Was dabei letztendlich herauskommt, inwieweit es noch ein paar Jahre mehr werden, ist ja immer noch offen. Und unsere Linie kann jetzt nur sein, alles zu machen, was diese Zeit verkürzt – mit anderen Hebeln. Es gibt ja noch andere Instrumente als nur die Laufzeitgarantie: die Erhöhung der Deckungsvorsorge und Haftpflichtversicherung, Besteuerung von Uranbrennstäben, verschärfte Sicherheitsvorkehrungen – also all die anderen Instrumente, mit denen man die Rahmenbedingungen ändern kann, sowohl sicherheitspolitisch wie ökonomisch. Und an dieser Diskussion werden wir dranbleiben.

Bei einem weitgehend sofortigen Atomausstieg Deutschlands käme der Atomstrom aus Frankreich. Damit wäre ja eigentlich auch niemandem gedient. Wie sollte man dieses Problem lösen?

Zahrnt: Es kann natürlich sein, daß in einer kurzen vorübergehenden Phase auch das der Fall wäre. Ich denke aber, daß sozusagen das politische Signal, das eine Industrienation wie die Bundesrepublik, die ja sehr viel auf ihre technologisch führende Situation hält, sich von einer derartigen Großtechnologie zu verabschieden, politisch richtig wäre. Dies hätte so langfristige Konsequenzen, daß man das kurzfristig in Kauf nehmen muß.

Man sollte als große Industrienation "atompolitischer Vorreiter" sein?

Zahrnt: Also ich habe das erlebt, als der Umweltminister Jürgen Trittin im Dezember eine Reise nach Südafrika gemacht hat und dort dem staatlichen Energieversorger gesagt hat, die Bundesrepublik steige aus der Atomenergie aus. Wieso, überlegten die sich, soll Südafrika zusammen mit Siemens in eine Technologie einsteigen, die in Deutschland eine Auslauftechnologie ist. Sie sehen, was weltweit Gewicht hat, und da paßt es dann eben auch überhaupt nicht, wenn jetzt Hermes-Bürgschaften für Atomkraftwerke in China genehmigt werden. Also ich denke, das industriepolitische, technologische Signal, wenn eine Industrienation wie die Bundesrepublik kurzfristig aussteigen würde, wäre erheblich.

Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen bescheinigte dem Umweltministerium unter Trittin kürzlich, daß außer Atompolitik gar nicht viel gelaufen sei. Was bleibt da für andere Umweltbereiche überhaupt noch übrig, wenn Trittins Steckenpferd, die Atompolitik, schon bescheiden ausfällt?

Zahrnt: Die rot-grüne Regierung hat ja neben dem Atomausstieg noch das zentrale Projekt "Ökologische Steuerreform", das auch sehr viel Kraft gekostet hat. Die ökologische Steuerreform ist ein großes Projekt gewesen, wo wir als BUND sagen, es ist wichtig, daß der Einstieg in diese Reform geschafft worden ist, mit dem Grundgedanken, Energie zu verteuern, Arbeitskosten zu verringern, und das alles haushaltsneutral. Da ist wirklich ein Einstieg geschafft worden, der aber leider doch durch den Widerstand der Industrie und durch den Widerstand des "Autokanzlers" derart verwässert worden ist, daß die ökologischen Wirkungen bescheiden sind. Aber immerhin, das Prinzip, das vernünftig ist und das sich ja auch ausbauen läßt und langfristig angelegt ist, ist in der Politik nun verankert. Das sehen wir durchaus, wenn auch mit bescheidenem ökologischem Erfolg, schon als einen Fortschritt an. Und das Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien sehen wir auch als einen Pluspunkt an. Aber natürlich, wenn der Sachverständigenrat reklamiert, wo überall nichts gelaufen ist, dann sehen wirdas auch so. Und wir meinen, selbst wenn man sich an politischer Stelle auf Dinge konzentrieren muß, so könnte man andere Vorhaben durchaus vorantreiben, wie das Bundesnaturschutzgesetz zum Beispiel. Dann ist immer noch unbefriedigend, daß die Regelung über die Rückgabe der Flächen aus der BVVG (Privatisierungsstelle ehemals volkseigener Wiesen, Felder und Wälder) noch aussteht. Dann ist sehr unbefriedigend, was mit dem Umweltgesetzbuch passiert ist. Es sind viele Dinge, die eigentlich dringend anstanden, einfach hängengeblieben, zum Beispiel die Elektroschrottverordnung. Die Altautoverordnung – das war ja ein Trauerspiel. Also da ist manches schlecht und vieles gar nicht gelaufen.

Ein besonderes umweltpolitisches Sorgenkind bleibt vor allem der steigende Flugverkehr. Ist da eigentlich etwas angepackt worden seitens der rot-grünen Bundesregierung, oder wird der Luftverkehr einfach weiter zunehmen?

Zahrnt: Die Bemühungen, auf internationaler Ebene zu einer Kerosinbesteuerung zu kommen, sind gescheitert. Deshalb setzt die EU jetzt auf emissionsbezogene Landegebühren, die auch von der Bundesregierung unterstützt werden. Die Regierung geht weiter von einem Wachstum des Flugverkehrs aus, ebenso wie von einem Wachstum des LKW- und PKW-Verkehrs. Deswegen soll auch die Hälfte der Mittel aus der Schwerverkehrsabgabe bei LKW's für ein Antistauprogramm genommen werden, so daß die nächsten Staus vorprogrammiert sind.

Der Bund Deutscher Industrie hat beklagt, daß die Haushaltsmittel für den Straßenbau gekürzt worden seien, so daß die geplanten Straßenbauvorhaben gar nicht erst in Angriff genommen werden könnten.

Zahrnt: Natürlich mußten aus dem Verkehrsministerium im Zuge von Sparpaketen manche Vorhaben zurückgenommen werden. Daraus folgt, daß angesichts der knappen Kassen solche Infrastrukturprojekte nicht mehr finanzierbar sind. Daß jetzt eben bei der anstehenden Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans auf die leeren Kassen Rücksicht genommen werden muß, ist klar. Das hat nichts mit innerer Überzeugung zu tun, sondern die Finanzknappheit kommt uns zu Hilfe.

 

Dr. Angelika Zahrnt ist seit 1998 Bundesvorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Nach einem Studium der Volkswirtschaftslehre in Heidelberg und einer kurzen wissenschaftlichen Assistententätigkeit bildete sie sich zur Systemanalytikerin weiter und arbeitete am Aufbau von Informationssystemen bei Siemens mit. Später wurde sie Referentin in der Abteilung Landesplanung der Hessischen Staatskanzlei. Heute ist die Mutter von zwei Kindern freiberuflich tätig.

 

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