© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/00 07. April 2000


Kolumne
Totalitär
von Klaus Hornung

Reisen bildet, nicht zuletzt in die alte Kaiserstadt Wien. Die Luft ist dort freier, die Medienlandschaft vielfältiger als in der Berliner Republik. Hier kann der stellvertretende Chefredakteur der Presse, Karl-Peter Schwarz, den Versuch der europäischen Linken, die Menschenrechtskonvention als einen rot-grünen Grundwertekatalog zu interpretieren, umstandslos als Totalitarismus qualifizieren. Die durch unverhohlene Mißachtung der demokratischen Willensbildung zustandegekommene ideologische Überreaktion der EU ist, so Schwarz, "eine vorzügliche Waffe des seinem Wesen nach totalitären Machtanspruchs der Linken". In der Tat: "Es wird zur Zeit geheuchelt und gelogen, daß sich die Balken biegen – in Österreich, in Europa und im Rest der Welt" (Schwarz).

Der bekannte Erziehungswissenschaftler Marian Heitger schrieb im Wiener Kurier, daß das Reden von den "Werten" und der "Wertegemeinschaft" mit der Festlegung auf bestimmte Werte "schnell zu Gesinnungsdiktatur führen kann", indem es jene Werte zerstört, die es angeblich verteidigen will: Meinungsfreiheit und politisch-ideologischen Pluralismus. Heitger: "Merkt denn niemand von den Sanktionierern, daß sie im Begriff sind, Europa und seine grundlegende Idee von Menschenrechten nur noch mehr zu verletzen, vor allem dann, wenn die Berufung auf sogenannte Werte zum Vorwand der Machterhaltung und Machtausweitung dient. Was ist vom Wert der Toleranz zu halten, wenn sie nur dem Gleichgesinnten entgegengebracht wird, was soll man von jener Freiheit halten, auf die nur der Recht hat, der sich den Wünschen der Mächtigen konform verhält; was soll man von einem Wert der Demokratie halten, wenn das Wahlergebnis nur akzeptiert wird, wenn es genehm ist."

Dreißig Jahre sozialistischer Vorherrschaft in Wien, dreißig Jahre einer riesigen, sündhaft teuren Umverteilungsmaschinerie, die jetzt die schwarz-blaue Koalition auf ihre Bezahlbarkeit hin zu reformieren hat, hatten Österreich umgemodelt in eine "sozialdemokratische Bundeserziehungsanstalt", die ihre Tantakel in alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens ausstreckte: Banken, Versicherungsanstalten, gemeinwirtschaftliche Unternehmen, öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Fernsehen, Schul- und Hochschulwesen.

Kurzum: Europas Sozialisten haben wieder die antifaschistische Rüstung angezogen, von der sie sich Machterhalt und Machterweiterung versprechen. Eine legitime demokratische Regierungsbildung soll durch die Fiktion des "faschistischen Feindes" umgestoßen werden.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaften an  der Universität Stuttgart-Hohenheim.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen