© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/00 14. April 2000


Wieder auf Kurs
von Moritz Schwarz

Sechs Minuten Beifall nach ihrer Rede und 96 Prozent Zustimmung bei ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden der CDU: Die Krönungsmesse für Angela Merkel verlief nach dem aus über zwei Jahrzehnten Kohl-Regentschaft bekannten Muster. Endlich also wieder sind jene dem CDU-Mitglied so wohlvertrauten Rituale der Fokussierung der Macht gefragt. Lange mußte er sie während der ungewohnten Vorgänge der letzten Monate entbehren, als vielen ein so unverständlicher Habitus wie Zweifel, Reue und Nachdenklichkeit abverlangt wurde.

Zweifelsohne ist Angela Merkel niemand, der die Antipathie erregen könnte, doch die Sympathie für sie rührt vor allem aus der Tatsache, daß mit ihr die Zeit der Gewissensnot vorbei ist. Dabei symbolisiert sie in besonderer Weise die "unschuldige" Seite der CDU: Als Ossi und vor allem als Frau genießt sie in der politisch korrekten Atmosphäre der real existierenden Bundesrepublik quasi von Natur aus eine Unschuldigkeitsvermutung, die man Wessi-Männern in vergleichbarer Position nicht ohne weiteres zubilligen würde. Daß Angela Merkel wohl tatsächlich diesem Unschuldigkeits-Vorurteil entspricht, ist für die durch sie "Erretteten" dabei völlig nebensächlich. Hauptsache, es werden wieder die Hände geklatscht statt die Haare gerauft.

Die CDU kommt nach der Eisberg-Kollision wieder auf Kurs, doch angesichts des zwar redlichen aber weltanschaulich völlig orientierungslosen neuen Kapitäns ist zu befürchten, daß man auch künftig lieber die Goldhäfen der Macht statt den schon fast vergessenen Heimathafen ansteuert.


 
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