© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/00 14. April 2000

 
Pankraz,
die Stasi und der Schwanz der Verharmloser

Ist es Strafverteidigern erlaubt, die Taten ihrer Mandanten zu verharmlosen? Jeder, der seine Gedanken einigermaßen beisammen hat, wird darauf mit einem klaren Ja antworten. Der Sinn von Strafverteidigung besteht doch gerade in der Verharmlosung. Verteidigung und Verharmlosung sind faktisch identisch. Sollte man jedenfalls meinen.

Wer aber so meint, kommt mit der politischen Strafjustiz der BRD überkreuz. Bei den "Propagandadelikten", die hierzulande justiziell geahndet werden (fast elftausend im vergangenen Jahr) und die in der Regel aus einer Verharmlosung historischer Verbrechen bestehen, welche in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts begangen wurden, besteht für die Verteidiger neuerdings Ausnahmezustand. Sie dürfen nicht mehr verharmlosen.

In vielen Kommentaren ertönt der Schlachtruf: "Keine Gnade für die Verharmloser der Verharmloser!" Und schon hat man auch die ersten Rechtsanwälte am Wickel (oder soll man sagen: am Arsch?), sie werden nun selber wegen Verharmlosung angeklagt, und die Verteidiger, die sie sich nehmen, müssen höllisch aufpassen, daß sie nicht ihrerseits wieder angeklagt werden.

Die Medien jubeln. Endlich wird aufgeräumt in diesem unseren Rechtsstaat. Endlich wird der ganze Rattenschwanz der Verharmlosung abgehackt, indem man auch die Verharmloser der Verharmloser der Verharmloser vor den Kadi bringt und der verdienten Strafe zuführt. Es wurde Zeit.

Aber einer der verurteilten verharmlosenden Verharmloser zog jetzt vors Bundesverfassungsgericht und begehrte Revision. Er wurde abgewiesen, wobei das BVG sich im Stile des einst in der Sowjetunion bekannt gewesenen Radiosenders Eriwan äußerte. Dieses Radio Eriwan reagierte auf Hörer-Anfragen stets mit der Antwort-Figur "Grundsätzlich ja, aber". Anfrage an Radio Eriwan: "Läßt sich der Sozialismus auch in der Schweiz aufbauen?" Antwort: "Grundsätzlich ja, aber es wäre schade um die Schweiz."

Das BVG argumentierte seinerseits: Grundsätzlich stimmt es, daß Verteidigung nur in Form der Verharmlosung möglich ist, aber im Falle der Verteidigung von Verharmlosern besteht Verharmlosung aus "polemischen Formulierungen", und solche Polemik ist strafbar. Der Antragsteller, also der wegen Verteidigung eines Verharmlosers verurteilte Rechtsanwalt, habe Beweisanträge gestellt, doch sei "völlig erwiesen", daß diese Beweisanträge in Wahrheit keine Beweisanträge, sondern "ein offenes Bekenntnis des Verteidigers zu revisionistischem Gedankengut" gewesen seien.

Zur gefl. Kenntnisnahme des Lesers: Der verurteilte Verteidiger hatte in seiner Verteidigung behauptet, daß "primär politische Interessen" hinter der Strafverfolgung von Verharmlosern historischer Ereignisse stünden, und er hatte als dazu einzuvernehmenden Zeugen den damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog benannt. Genau damit, donnerte das BVG, habe sich der Verteidiger entlarvt, denn es sei von dem genannten Zeugen Herzog "mit Sicherheit nicht zu erwarten gewesen", daß er die Behauptung des Verteidigers stützen würde. Wenn nun aber doch? Wieso wußte das BVG eigentlich so genau über die möglichen Aussagen des Zeugen H. Bescheid?

Pankraz erinnert dieser ganze Gespensterreigen intensiv an seine eigene Jugend in der DDR, wo er eines Tages "wg. Boykotthetze" angeklagt und verurteilt wurde, weil er einige historische Ansichten und Meinungen der herrschenden Kräfte wenn nicht verharmlost, so doch in Frage gestellt, relativiert, bezweifelt hatte. Der Verteidiger, der ihm zugewiesen wurde, war ein Mitarbeiter der Stasi, dessen Argumentieren und Plädieren aus heutiger Perspektive außerordentlich modern und zeitgemäß anmuten, obwohl die damaligen Vorgänge schon recht lange zurückliegen.

Er war vielleicht nicht einmal der schlechteste, man merkte ihm an (besser: Pankraz glaubte, ihm anzumerken), daß er gern verharmlost, minimiert, relativiert hätte. "Hier dieses Zitat in Ihrem Tagebuch, das den Genossen Vernehmern so negativ aufstößt, es ist doch im Grunde von Marx, Marx hat in den philosophisch-ökonomischen Manuskripten etwas ganz Ähnliches gesagt, wahrscheinlich haben Sie es von ihm. Also kann es doch nicht so schlimm sein. Da müßte man doch etwas machen können."

Als freilich dann der Prozeß über die (für die Öffentlichkeit geschlossene) Bühne ging, dachte dieser weise Verteidiger nicht im Traum daran, die Richter mit dem Marxzitat zu behelligen, um die Harmlosigkeit der Einträge von Pankraz sichtbar zu machen. Er zeigte sich in seinem Plädoyer im Gegenteil "tief betroffen" von der kriminellen Energie, die in den Tagebucheinträgen zum Ausdruck käme – und bat mit bekümmerter Stimme um ein "gerechtes Urteil". Fürwahr, dieser Mann gehörte nicht einmal zu den schlechtesten.

Fast könnte man meinen, er habe jenem Verteidiger zum Vorbild gedient, den sich der verurteilte Verteidiger in dem Revisionsprozeß vor dem BVG zum Verteidiger genommen hatte. Auch dieser zweifellos exzellente Anwalt zeigte sich von vornherein entschlossen, den Rattenschwanz der Verharmlosung von Verharmlosern gar nicht erst weiter zu verlängern und sich dadurch selber in Gefahr zu bringen. Er sah in der Verhandlungsstrategie seines Kollegen zwar keine kriminelle Energie, aber doch immerhin "möglicherweise Geschmacklosigkeit", auf jeden Fall "ein Rätsel", denn der Verurteilte sei doch schon sechsmal in seinem Leben "zu Besuch in Israel gewesen".

Letzten Endes nützte der Verteidiger des Verteidigers in Karlsruhe seinem Mandanten so wenig, wie einst der Stasi-Verteidiger in der DDR Pankraz genützt hat. Dem Gesetz wurde Genüge getan, hier wie dort. Und speziell das BRD-Gesetz gegen die Verharmloser, liest Pankraz in einem einschlägigen Artikel der FAZ, wolle auch jene treffen, die "mit Blindheit geschlagen sind". Fiat iusticia, pereat mundus. Auf deutsch: Wir kriegen sie alle. Alle.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen