© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/00 14. April 2000

 
Eine Welt des schönen Scheins
Bret Easton Ellis schreibt seine Romane mit innerer Logik fort
Doris Neujahr

Der amerikanische Star-Autor Bret Easton Ellis (Jahrgang 1964) schreibt seine Bücher in innerer Folgerichtigkeit fort. Zunächst widmete er sich den reichen Teenies von "L.A." ("Unter null", 1986), die alles haben und denen nur noch die Suche nach dem richtigen Sex- und Drogen-Kick bleibt. Seine Figuren ("braungebrannt, kurze blonde Haare, ausdruckslose blaue Augen, dieselbe leere, tonlose Stimme") scheinen direkt den "Baywatch"- und "Melrose Place"-Serien entstiegen zu sein. In seinem zweiten Roman "Einfach unwiderstehlich" (1988) waren seine Figuren ins Studentenmilieu aufgerückt. 1991 erkor er in "American Psycho" mit dem durchgeknallten Yuppie und New Yorker Börsenmakler Patrick Bateman, der über Frauen mit Kettensäge, Bohrmaschine und ausgehungerten Ratten herfällt, einen formidablen Massenmörder zum Romanhelden, was zur teilweisen Indizierung des Buches in Deutschland führte. Sein vierter Roman, "Die Informanten" (1994), blieb im Schatten seines Vorgängers so gut wie unbemerkt. Dem Leser prägten sich höchstens das Adjektiv "melrose-mäßig" für ein Zebra – merke: die Unterwerfung der Natur unter die Auspizien des Plastikzeitalters! – und das vage Gefühl einer unentrinnbaren, sanften Apokalypse ein.

Diese Apokalypse hat seitdem unaufhaltsam ihren Lauf genommen, und wie läßt der hoffnungslose Zustand der Welt, die kein Sein mehr, nur noch den Schein kennt, sich besser illustrieren als am Beispiel eines gestandenen Models, das in Mode-, Lifestyle- und Jugend-Magazinen allgegenwärtig und damit ebenso vorbildhaft wie repräsentativ für die Allgemeinheit ist?

Victor Ward heißt der schöne, "hippe Boy des Augenblicks", der sich in der New Yorker Modeszene tummelt und dermaßen dumm ist, daß Claudia Schiffer im Vergleich mit ihm als Wiedergängerin von Ingeborg Bachmann wegkommt. Die Welt, in der er sich bewegt, ist ein geschlossener Präsentations-, Promi- und Partykosmos. Die Namen von Jason Priestley, Naomi Campbell, Brad Bitt, Keanu Reeves, Helmut Newton schwirren durch die Luft. Die Zeit rechnet sich hier nach der "Ära vor dem Tattoo" und dem "Jahr, als alle Welt Levi’s mit zerfetzten Knien trug". Paris, London, Mailand – das sind Namen ohne Aura, nur geographische Punkte, wo man Unterwäsche präsentiert. Ein Innen- und Privatleben, Mußestunden gar, hat hier niemand, die Menschen sind völlig damit ausgelastet, ihren eigenen Abziehbildern zu entsprechen. Das Äußerste an Selbsterkenntnis leistet Victor sich, als er vor dem Schaufenster eines Kaufhauses sich, sein Spiegelbild und eine mannsgroße Werbephotographie zur Deckung bringt. Liebesbeziehungen im Sinne goetheischer Wahlverwandtschaften sind nicht mal mehr ferne Erinnerung. Statt dessen gibt es Liaisons von Model zu Model, wobei es sich im Grunde um Werbegags von Typenberatern und Agenturen handelt. Glück und Unglück entscheiden sich an der Frage, wer wann wo in welcher Reihe auf welchem Werbefoto plaziert wurde.

Wer so begehrt, umworben, wichtig, gleichsam ins Zentrum der modernen Welt gerückt ist, braucht seinem Schandmaul keinerlei Zügel anzulegen. Die Worte prasseln wie aus einen künstlich illuminierten Zimmerspringbrunnen, der Kaskaden von Sprachfertigteilen emporschleudert, welche gleich wieder ins seichte Bassin zurückfallen, wo sie das Ausgangsmaterial für neue Kaskaden liefern – die sich ins Endlose perpetuierende Sinnlosigkeit. "Victor, ich bin sechsundzwanzig. Das sind für ein Model hundertundfünf Jahre." – "Schönheit kommt aus der Seele." – "Der Spiegel ist dein bester Freund, Victor." – "Ich nehme an, es ist alles relativ." Auf über 200 Seiten breitet Ellis so das Innerste, das Nichts nämlich, der Glamour-Szene aus, einfach, indem er sie bis zum Überdruß plappern läßt.

Diese Eintönigkeit tapfer durchgehalten zu haben, kann als große literarische Leistung verbucht werden. In einem Zeitungsinterview hat Ellis bekundet, daß diese Model-Welt durchaus modellhaft gemeint ist: "Mein Buch könnte auch in einer anderen sozialen Gruppe spielen, denn ganz Amerika ist ein Ort der Langeweile und des Stumpfsinns. Amerikaner unterhalten sich ständig über berühmte Leute wie Models und Schauspieler – was sie tun, wie sie aussehen und wie man selbst berühmt werden könnte."

Dann führt ein ominöser Auftrag Victor nach Europa. In London landet er in einer Model-Wohngemeinschaft, die als Terroristen-Gruppe ihr globales Unwesen treibt. Was bei kleineren Literaten womöglich der Aufstand gegen die ach! so entzauberte Welt gewesen wäre, markiert bei Ellis eine neue Qualität gegenüber "American Psycho" und "Informanten": Die Morde des Patrick Bateman waren, bei aller abstoßenden Brutalität und dem satirischen Augenzwinkern, mit dem die Gruselszenen präsentiert werden, die äußerste Konsequenz eines überkünstelten Lebens und zugleich der Versuch, aus ihm auszubrechen. In den angstgeweiteten Augen seiner Opfer erblickte Bateman, im Alltag ein ohnmächtig auf die Dingwelt fixiertes Reflexbündel, endlich den Beweis, daß er wirklich noch als souverän Handelnder existierte.

In "Glamorama" (Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999) hingegen eröffnet selbst die Gewalt keine Chance mehr, die Welt des falschen Scheins wenigtens für Augenblicke außer Kraft zu setzen. Die Folterszenen, die Anschläge, die blutüberströmten Frauenleichen in Badezimmern, die abgerissenen Gliedmaßen auf den Straßen und die Flugzeugabstürze sind voll in die schöne neue Medienwelt integriert: Die Akteure wissen genauso wenig wie der Leser, ob es sich dabei um die "Wirklichkeit" handelt oder nur ein unterhaltsamer Film abgedreht wird – oder beides.

Ellis hat in seinem neuen Buch überzeugend den totalen Sieg der Mediensimulationen über die Realität in Szene gesetzt. Dieser Sieg war für den Medientheoretiker Jean Baudrillard bereits in den siebziger Jahren dort gegeben, wo die Zeichen, die etwas verbergen, verschwunden und an ihre Stelle jene Zeichen getreten sind, die lediglich camouflieren, daß sie in Wahrheit gar keine hintergründige Botschaft mehr enthalten: "Hier gibt es keinen Gott mehr, der die Seinen erkennt, kein Jüngstes Gericht, das das Wahre vom Falschen und das Reale von seiner künstlichen Auferstehung trennt, denn alles ist bereits tot und von vornherein wieder auferstanden."

Für Bret Easton Ellis – und das gehört ebenfalls zur besonderen Qualität seines Buches – ist das kein Grund, zynisches Einverständnis herauszukehren. Neben dem unvergleichlich besseren Handwerk unterscheidet er sich auch in moralischer Hinsicht von den blasierten deutschen Kollegen, die sich gern auf ihn berufen und glauben, ihre eigenen – im Einzelfall durchaus witzigen – Kommentare zur Gegenwart bedeuteten schon Literatur.

Als Motto hat Ellis seinem Roman ein Hitler-Zitat vorangestellt: "Wer den Nationalsozialismus nur als politische Bewegung versteht, weiß fast nichts von ihm." Über Sinn und Zweck dieses Satzes an dieser Stelle könnte man seitenlang spekulieren. Kehrt Patrick Bateman in Ellis’ nächstem Buch als ultimativer Führer und Erlöser zurück?


 
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