© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/00 14. April 2000

 
Streiter für die Einheit Deutschlands
Der Historiker und Publizist Wolfgang Venohr feiert seinen 75. Geburtstag
Günter Kießling

Wer denkt heutzutage noch daran zurück, wie es vor zwanzig Jahren um Deutschland bestellt war? Vorbei waren die Zeiten, da am Tag der Deutschen Einheit aufrichtig der Wille zur Wiedervereinigung bekundet wurde. Der 17. Juni war längst auf den Status eines arbeitsfreien Tages herabgesunken. In der Festrede von 1986 fiel dann im Deutschen Bundestag gar der kaum glaubliche Satz: "Haben wir nicht auch andere Sorgen" (als die der deutschen Einheit!)? Und immer wieder versuchten die verantwortlichen Politiker ihre Passivität in der Deutschlandpolitik damit zu rechtfertigen: Die deutsche Frage stehe nicht auf der Tagesordnung der Weltgeschichte!

Nur noch eine kleine Gruppe von unermüdlichen Streitern für die deutsche Einheit hielt dem verzweifelt entgegen: Dann setzt sie doch endlich auf die Tagesordnung! Einer von ihnen war Wolfgang Venohr, Journalist und Publizist, einst Chefredakteur von Stern-TV. Trotzig gab er seinem 1982 veröffentlichten Buch den Titel: "Die deutsche Einheit kommt bestimmt!" Und die Geschichte gab ihm recht. Niemals ließ Venohr auch nur den geringsten Zweifel aufkommen, daß die von ihm geforderte Wiedervereinigung eine solche in Recht und Freiheit sein müsse. Wie nur wenige hat er vom Westen aus scharfsinnig die Entwicklung in der "DDR" beobachtet und seinen Lesern "Die roten Preußen" präsentiert.

Doch sein wissenschaftliches Werk war breiter angelegt als nur auf die deutsche Frage. Wolfgang Venohr ist nicht denkbar ohne seine tiefe Verwurzelung in der Mark Brandenburg. Diese findet ihren Niederschlag vor allem in seinen Büchern "Fridericus Rex" (1985), "Der Soldatenkönig" (1987), und "Preußische Profile" (1998). Aber auch mit den Problemen der deutschen militärischen Führung in beiden Weltkriegen hat er sich auseinandergesetzt im "Wunder an der Marne", in "Ludendorff" wie in seinem eigenwilligen Bild von "Stauffenberg".

1997 veröffentlichte Wolfgang Venohr seine "Erinnerung an eine Jugend". Viele Deutsche, die nun an der Schwelle zum neunten Lebensjahrzehnt stehen, finden darin eine realistische Schilderung des Alltags im NS-Deutschland, wie sie ihn damals erlebten. Der Autor gewährt uns einen tiefen Einblick in die kleinbürgerlichen Lebensverhältnisse seiner deutsch-national orientierten Familie, die – wie wohl die meisten Deutschen – Hitler vornehmlich deshalb folgte, weil sie das Unrecht von Versailles beseitigt wissen wollte. Alles andere, was einem an den Nazis nicht gefiel, ob es nun Zweifel aufkommen ließ, Unbehagen oder (erst später) gar Angst bewirkte, das wurde der großen Hoffnung untergeordnet oder einfach verdrängt.

Mit Kriegsbeginn beginnt das Außergewöhnliche im Lebenslauf des 1925 geborenen Autors. Als 15jähriger folgte er seinen Eltern in das gerade von den Deutschen eroberte Posen. Dort gerät er als Jungvolkführer in einen tiefen Konflikt, den er als "Fahnenmarsch" bewegend schildert. Ein dunkles Kapitel – nicht nur für den Autor, auch für den Leser! Wie ein Kartenhaus bricht für Venohr sein bis dahin blindes Vertrauen in das Regime zusammen, als ihm brutales Vorgehen gegen die nicht-deutsche Bevölkerung im sogenannten Warthegau befohlen wird. Der Jungvolkführer Venohr verweigert den Befehl. Er wird degradiert und sogar aus der Hitler-Jugend ausgeschlossen. Der Leser kann nur ahnen, daß dem jungen Kriegsfreiwilligen weitere Enttäuschungen nicht erspart blieben, und wartet nicht ohne Spannung auf die Fortsetzung dieser Erinnerungen.

Wolfgang Venohr hat den Krieg überlebt – schwer angeschlagen, aber innerlich ungebrochen. Mit den ersten Studenten bezog er die Freie Universität in Berlin und begann einen neuen, erfolgreichen Abschnitt seines Lebens. Am 15. April vollendet er bei voller Schaffenskraft das 75. Lebensjahr. Tiefe Enttäuschungen blieben ihm nicht erspart. Am schmerzlichsten traf ihn wohl das Versäumnis geistiger Führung, an das leidenschaftliche Bekenntnis von Leipzig "Wir sind ein Volk" anknüpfend, die innere Einheit Deutschlands zu gestalten. Doch unerschüttert ist seine feste Überzeugung, daß die Deutschen nach ihrem leidvollen 20. Jahrhundert selbstbewußt und doch bescheiden die Zukunft ihres Vaterlandes in einem vereinten Europa meistern werden.

 

Günter Kießling gehörte wie Wolfgang Venohr zu den Gründerstudenten der Freien Universität Berlin. Im Ringen um die deutsche Wiedervereinigung stand er an dessen Seite.


 
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