© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/00 14. April 2000

 
Aufstand in Joßgrund
Eine hessische Vorzeige-Gemeinde spielt Glaubenskrieg
Werner Norden

Knapp viertausend Einwohner zählt die im südlichen Spessart gelegene Gemeinde Joßgrund. Hier bekommt die CDU bei Wahlen regelmäßig um die achtzig Prozent, und auch die katholische Kirche hält hier eine bislang unangefochtene Bastion. Joßgrund ist außerdem als einzige Gemeinde Hessens schuldenfrei, und dies dank seiner Bürger, die sich in vorbildlicher Weise für ihre Gemeinde einsetzen. So sind die meisten öffentlichen Einrichtungen, wie Kinderspielplätze, das Feuerwehrgerätehaus oder das Bürgerhaus, von den Einwohnern in Gemeinschaftsarbeit in ihrer Freizeit eigenhändig errichtet worden. Eine wahre Mustergemeinde also, dies ist jedenfalls der erste Eindruck.

Seit einigen Wochen ist jedoch die Welt in Joßgrund nicht mehr in Ordnung. Die katholischen Christen boykottieren den Gottesdienst, Meßdiener und andere Kirchenhelfer haben gar zum Mittel des "Streiks" gegriffen. Als Ursache dieser offenen Rebellion gilt eine Entscheidung von Erzbischof Johannes Dyba, des Oberhirten im Bistum Fulda.

Zum 1. März war der bisher dem Orden "Servi Jesu et Mariae" (SJM) angehörende Pater Béla Horváth abberufen worden. Der bei den Joßgrundern offensichtlich recht beliebte Priester hatte um die Auflösung seines Gelübdes gebeten, weil er den Orden verlassen wollte. Angeblich konnte er sich nicht mehr länger mit der traditionalistisch-konservativen Art von Glaubensvermittlung identifizieren, die SJM vertritt, da er inzwischen eine eher liberalere Form der Seelsorge bevorzugte.

Erzbischof Dyba, dem die Aufgabe oblag, einen neuen Priester für die Kirchengemeinde Joßgrund und die umliegenden Dörfer Burgjoß, Pfaffenhausen, Oberndorf und Mernes zu verpflichten, schickte nun den ebenfalls dem gleichen Orden angehörenden Pater Johannes Ziegler als Seelsorger nach Joßgrund. Dieser stieß jedoch schon bald auf den geballten Unmut der Gläubigen, denen der nun etwas strenger gewordene Ton in den sonntäglichen Predigten überhaupt nicht gefiel.

Tatsächlich soll Pater Ziegler sich angeblich dahingehend geäußert haben, daß außer dem Fegefeuer und dem anschließenden Himmel für die reuigen Sünder auch noch die Hölle für diejenigen existiere, die partout nicht von ihren schlechten Taten lassen und auch nicht bereuen wollen, oder daß zum Beispiel Ehebruch selbst in der Faschingszeit eine schwere Sünde darstellt. Alles Dinge also, die der moderne Katholik heute gar nicht mehr so gerne hört, weil sie ihm irgendwie den berühmten zeitgeistgemäßen "Genuß ohne Reue" verleiden könnten.

Als dann noch bekannt wurde, daß der Orden für die in lateinischer Sprache gehaltene Predigt plädiert und Meßdienerinnen und Laien als Gottesdiensthelfer ablehnend gegenübersteht, stand für die Joßgrunder fest, daß sie "keine Versuchskaninchen für Fulda" sein wollten und der Orden die Pfarrgemeinde zu verlassen habe. Selbst als Weihbischof Kapp in Vertretung von Erzbischof Dyba zusagte, einen anderen SJM-Priester zu entsenden, wurde die Stimmung bei einer Versammlung im Bürgerhaus am 21. März nicht besser. So sollen die von Ordenspriestern geleiteten Gottesdienste weiterhin boykottiert werden, die Meßdiener werden weiter "streiken", und man will keinesfalls klein begeben.

"Der Orden spaltet die Gemeinde", lautet das Hauptargument der SJM- und Dyba-Gegner. Diese Aussage läßt immerhin darauf schließen, daß längst nicht alle Gläubigen in Joßgrund "Servi Jesu et Mariae" gegenüber feindlich eingestellt sind. Tatsächlich ist es wohl eher eine lautstarke Minderheit, die allerdings den Pfarrgemeinderat vollständig unter ihrer Kontrolle hat, die hier das große Wort führt. Getroffen werden soll in erster Linie der von dem ehemaligen Jesuiten Andreas Hönisch gegründete und aus der "Katholischen Pfadfinderschaft Europas" (KPE) hervorgegangene Orden, der 1994 vom Vatikan offiziell anerkannt wurde und gegenüber den ständigen Modernisierungs- und Demokratisierungstendenzen im Katholizismus eine sehr kritische Haltung einnimmt.

Daneben geht es aber wohl auch darum, dem ebenfalls als "konservativ" und "papsttreu" eingeschätzten und traditionalistischen Ideen gegenüber als aufgeschlossen geltenden Oberhirten des Bistums Fulda, Erzbischof Dyba, wieder einmal eins auszuwischen. Und da dies von außen schon lange nicht mehr so reibungslos funktioniert, trägt man nun den Spaltpilz mitten in die Kirche hinein. Ob die Joßgrunder Katholiken wissen, welchen kirchenfeindlichen Elementen sie letztlich mit ihrem "Aufstand" Vorschub leisten?


 
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