© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/00 14. April 2000

 
Musik: Deutschland feiert mit den "Einstürzenden Neubauten"
Schräge Töne vom Schrottplatz
Peter Boßdorf

Für mich ist jetzt Untergangszeit, die Endzeit – endgültig", soll Blixa Bargeld Anfang der achtziger Jahre gemeint haben. "Das läuft noch drei oder vier Jahre, dann ist’s vorbei. Da gibt’s bei mir nix. Untergang ist Untergang." Die Hoffnungen erfüllten sich bekanntermaßen nicht. Auch jene Band, der er Stimme und Profil gibt, überlebte: Jetzt wurden die Einstürzenden Neubauten sogar 20 Jahre alt. Da sie es sich selbst gegenüber an Ernsthaftigkeit mangeln lassen können, hat sie ihr Jubiläum nicht verstört. Sie nutzen es als zusätzlichen Schub für die Promotion einer neuen, fast schon unerwarteten CD. Deren Titel wiederum, "Silence is Sexy", setzt ein ironisches Fragezeichen hinter das Image der Band. So überraschend kann Kunst auch am Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch sein.

Der Festakt stieg pünktlich in Berlin, dort also, wo die Wiege dieser deutschen Institution einst stand. Vieles, was an die Atmosphäre erinnern könnte, in der die Einstürzenden Neubauten entstanden, bietet Berlin allerdings nicht mehr. Die weltfremde Verzweiflung, die es sich hier früher gut kultivieren ließ, ist entwurzelt. Bodo Morshäuser hat ihr einmal in der "Berliner Simulation" ein kleines Denkmal gesetzt, wahrscheinlich kann er sich heute selbst nicht mehr daran erinnern. Eine nicht immer nur spielerisch gemeinte Schwarzmalerei hinsichtlich der Zukunft des Menschengeschlechtes im allgemeinen und der eigenen Lebenschancen im besonderen beschränkte sich damals, um 1980 herum, allerdings nicht auf Berlin. Auch wenn sich schon zu dieser Zeit eine Mehrheit der jungen Menschen auf ihren späteren langweiligen Lebensweg vorbereitete, galt es doch wenigstens als verpönt, dies auch noch toll zu finden. In solch einer Stimmung tat es gut, Punk zu hören oder doch wenigstens, wenn es denn ein wenig hintergründiger sein sollte, New Wave.

Der Bedarf war da, und als die Plattenindustrie ihn bemerkte, wurden Musiker so gefragt wie heute IT-Spezialisten. Auch Punk forderte von seinen Künstlern jedoch, daß sie eine Gitarre halten und ihr den einen oder anderen Ton entlocken konnten. Das war, so behauptet Blixa Bargeld heute kokett, den Gründern der Einstürzenden Neubauten aber immer noch zu viel Streß. So verfiel man auf einen Sound, der unhörbar sein sollte und dies zunächst in der Tat auch war. Ließ sich damit kommerziell zwar kein Blumentopf gewinnen, überzeugte man doch wenigstens das Feuilleton. Etwas, das von sich behauptete, noch radikaler als Punk zu sein? Das mußte man schon für avantgardistisch halten.

Mit ihrem antikonzeptionellen Konzept waren die Einstürzenden Neubauten nicht allein auf dem Markt. Vor Ort in Berlin machten ihnen Din-A-Testbild und Die Tödliche Doris Konkurrenz. Blixa Bargeld hat sie alle aus dem Rennen geschlagen.

Eine Zukunft hat man den Einstürzenden Neubauten jedoch trotz all ihres Medienechos anfangs nicht zutrauen wollen. Man freute sich eher, daß man sie im Kontext der Neuen Deutschen Welle wenigstens einordnen konnte. Das war so bequem wie fragwürdig. Die Verbindung beschränkt sich auf bloße Zeitgenossenschaft und auf die Mitwirkung von F.M. Einheit bei den Neubauten und bei Abwärts zugleich. Abwärts wiederum stand mit seinem zwar archaischen, aber nicht unverträglichen Sound am Rande der NDW und gab jenen Halt, die dem um sich greifenden Spaß mit Fassungslosigkeit begegneten.

Die Einstürzenden Neubauten hingegen wurden erst fünf Jahre nach ihrer Gründung hörbar und fanden mit der LP "1/2 Mensch" auf Anhieb auch gleich jenen Sound, der fast ein Jahrzehnt vorhielt und noch immer nicht ganz verklungen ist. Wahrscheinlich kann man auch erst ab dieser Zeit von einem Einfluß der Band sprechen. Er ist nicht unbeträchtlich und hält bis in unsere Tage an. Es dürfte zum Beispiel kaum ein Industrial-Projekt geben, daß von jeglicher Beeinflussung durch die Einstürzenden Neubauten freizusprechen wäre. Genauso ist allerdings unverkennbar, daß sie aus einer anderen Zeit stammen, daß man sie als musikalische Großväter anzusehen hat, allein schon, weil sie traditionell Handwerker waren und sind, wo die Enkel ausschließlich samplen und die Computer für sich arbeiten lassen.

Die Musik der Neubauten nahm ihren Ausgang vom Schrottplatz der Industriegesellschaft. Wie schon so viele berühmte Figuren so vieler Avantgarden vor ihnen trugen sie Gegenstände des Alltags beschwörend in die Kunst hinein, als wollten sie diese wieder einmal mit dem Leben versöhnen. Da die Realität dieser Industriegesellschaft für das potentielle Publikum der Einstürzenden Neubauten aber nur noch als Vorstellung wirklich ist, kann ihre ursprüngliche Grenzüberschreitung nicht mehr als solche gewürdigt werden. Damit sind ihnen alle Möglichkeiten genommen, mehr als nur gefällig zu sein und dem einen oder anderen Konsumenten eine interessante Ergänzung des eigenen Lifestyle-Portfolios zu bieten.

Die Band hat sich also eigentlich überlebt, ohne daß sie, etwa wegen eines Mangels an guten Einfällen, die Schuld daran trüge. Schwer auszuhalten ist dieses Los sicherlich nicht, zumal nahezu alle beteiligten Akteure, allen voran Blixa Bargeld, seit langem ein Faible für das Theater haben. Bereits das Comeback im Feuilleton gelang schließlich nur, weil sie nun auch diese Bühne betraten – 1987, als Peter Zadek sie zur musikalischen Untermalung seiner Sozialsoap "Andi" nach Hamburg einlud. Mehr und mehr fanden sie im Theater einen geeigneten Rahmen, um ihren apokalyptischen Tonfall zu pflegen und zugleich auch jenes Tondokument möglich zu machen, das aus ihrem Oevre eventuell am längsten vorhalten wird: die 1990 unter Mitwirkung des Autors eingespielte Hörspielfassung der "Hamletmaschine" von Heiner Müller.

Engagements dieser Art haben nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß die Einstürzenden Neubauten bis weit in die neunziger Jahre hinein souverän auftraten – live und in ihren Studioveröffentlichungen. Glaubwürdigkeit im puristischen Sinn der frühen Achtziger durfte aber spätestens von dem Triptychon aus "Interim", "Tabula Rasa" und "Malediction" nicht mehr erwartet werden. Immerhin blieben die Einstürzenden Neubauten dem Untergang als Schauspieler treu.


 
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