© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/00 21. April 2000

 
Substanzverlust evangelischen Glaubens"
Bernhard Kaiser über die Preisgabe christlicher Positionen und die Bildung Bekennender Gemeinden

Die konservativen evangelischen Freikirchen in Deutschland sind zwar klein, aber im Wachsen. Dagegen leidet die EKD unter Desinteresse und Mitgliederschwund. Wo liegt es mit der EKD im argen?

Kaiser: Die bibelkritische Theologie an den Universitäten hat dazu geführt, daß EKD-weit ein nachhaltiger Substanzverlust evangelischen Glaubens eingetreten ist. Kaum ein Pfarrer glaubt und verkündigt den stellvertretenden Sühnetod Christi und seine leibhaftige Auferstehung. Üblicherweise sind sozialethisch motivierte Predigten und Aufrufe zu einer letztlich unverbindlichen Frömmigkeit zu hören, für die Christus als Vorbild benötigt wird. Die ureigenste Botschaft der christlichen Kirche, das biblische Zeugnis von der Schöpfung und das Evangelium von Christus, von der Vergebung der Sünden, der Rechtfertigung durch den Glauben und der Hoffnung auf die Auferstehung, ist kaum mehr zu hören. Kein Wunder, wenn die Leute mit den Füßen abstimmen!

Ist der Konservatismus einiger Freikirchen politisch nicht ebenso reaktionär wie die EKD bis zur Auflösung linksliberal?

Kaiser: In einigen Freikirchen hat sich so etwas wie Christomarxismus breitgemacht; sie stehen hier nicht im Blickfeld. Andernorts hat man vornehmlich religiöse Interessen und ist deshalb apolitisch. Wo aber die Bibel aufmerksam gelesen und hochgeschätzt wird, stellt man mit Sorge die Preisgabe christlicher Positionen und die zunehmende Einengung der Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit fest und warnt davor. Ich kann dies – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – nicht als "reaktionär" bezeichnen, sondern es ist das schon von den Anfängen der Kirche her aufweisbare Einstehen für die Geltung von Gottes Wort.

Wie kann unser Volk zu den Geboten Gottes zurückkehren und dabei die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Einzelnen wahren?

Kaiser: Reformatorische Theologie betont, daß Gott sein Werk in der Welt nach seinem Willen tut. Wenn er es verfügt, daß Menschen auf sein Wort achthaben, dann geschieht das ohne Zwang. Umkehr zu Gott ist nicht machbar – weder psychologisch noch politisch noch militärisch. Christen haben nicht den Auftrag, anderen Gottes Willen aufzuzwingen. Ihre von Christus gestellte Aufgabe ist aber, Gottes Wort zu verkündigen. Dafür beanspruchen sie die in Art. 4 GG gewährleistete Freiheit zur Religionsausübung. Wenn aber die Gesellschaft auf Gottes Wort hört, dann kann sie auch auf dem Weg demokratischer Entscheidungen dahin kommen, in ihrer Gesetzgebung Gottes Gebote wieder zu berücksichtigen.

Welchen religiösen Standpunkt nehmen Sie und Ihre Zeitschrift ein?

Kaiser: Wir stehen auf den Bekenntnissen der Reformation. Wir beanspruchen, sowohl mit der Bildung Bekennender Gemeinden als auch – mittelbar – mit der theologischen Ausbildung an der Akademie für Reformatorische Theologie wieder die Kirche der Reformation zu bauen: biblische und apostolische Kirche.

Welche politischen Grundlinien verfolgen Sie?

Kaiser: Unser Interesse ist zunächst ein kirchliches. Wenn sich aber die Kirche zu politischen Fragen äußert, dann hat sie es verfassungsgemäß in der Bindung an die Bibel zu tun. Sie begreift dabei die menschliche Existenz in sinnvoller Zuordnung von individueller Freiheit und gemeinschaftlicher Bindung. Das gilt für die Familie ebenso wie für das Zusammenleben der Völker. Sie wird dabei im sogenannten wertkonservativen Bereich stehen, so etwa in der Hochschätzung der Familie, des Lebens, der Leistung und bürgerlicher Freiheit sowie in der Kritik an der Abtreibung und einer permissiven Sexualethik. Andererseits wird sie Privateigentum und soziale Verantwortung nicht durch die Brille eines auf Gewinnmaximierung fixierten Kapitalismus anonymer Konzerne sehen können.

 

Dr. Bernhard Kaiser ist Chefredakteur der Zeitschrift Bekennende Kirche des Vereins für reformatorische Publizistik e. V. (Narzissenweg 11, 35447 Reiskirchen).


 
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