© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/00 21. April 2000

 
Ein vernichtendes Urteil
David Irving verliert seinen Prozeß und kündigt Berufung an / Gutachter kassieren bis zu 100.000 Pfund
Ronald Gläser

Daß Richter Charles Gray einen Monat für die Verkündung des Urteilsspruches benötigte, nachdem Mitte März der letzte Verhandlungstag am Londoner High Court stattgefunden hatte, ist bei einer 207seitigen Urteilsbegründung verständlich. Das Urteil im Fall David Irving gegen Deborah Lipstadt und den Verlag Peguin Books ist umfangreich und bedeutet den finanziellen Ruin des britischen Historikers. Trotzdem kündigte Irving am Dienstag auf telefonische Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT an, daß das letzte Wort in diesre Sache noch nicht gesprochen sei. "Ich werde gegen das Urteil in Berufung gehen."

David Irving hatte die jüdische Autorin des Buches "Denying the Holocaust" und ihren Verlag wegen Verleumdung und Geschäftsschädigung verklagt, weil diese eine Verschwörung zur Zerstörung seiner Karriere ins Leben gerufen hätten. Irving sieht dieses Buch, in dem behauptet wird, er sei einer der gefährlichsten Holocaust-Leugner der Welt, als den Auslöser für seinen persönlichen Niedergang als angesehener Wissenschaftler.

Deborah Lipstadt, eine amerikanische Professorin für "Holocauststudien" dagegen beharrte darauf, daß Irving ein gefährlicher Geschichtsfälscher sei, so daß ein britisches Gericht über eine Verleumdungsklage gegen die Autorin zu entscheiden hatte. Das Verfahren wurde von der internationalen Presse verfolgt, und das Urteil wurde in vielen Ländern mit Spannung erwartet. Entsprechend groß war die Freude bei den Gegnern Irvings. So gab das Simon-Wiesenthal-Zentrum in einer Erklärung die Einschätzung wider, Irvings Karriere als Historiker sei nun vorbei.

Während des Prozesses mußte das Gericht zunächst klären, was unter einem "Holocaust-Leugner" zu verstehen sei. Folgerichtig wurde die Frage geklärt, was als Holocaust anzusehen ist. Anders als in den meisten europäischen Staaten gelten die Opferzahlen und die Existenz von Gaskammern in Großbritannien nicht als "offenkundige Tatsachen", deren Leugnung per se mit Gefängnisstrafen belegt ist. Die Debatte, die seit Mitte Januar im Londoner Gerichtssaal mit großer Offenheit geführt wurde, wäre in Deutschland beispielsweise undenkbar gewesen, da schon durch die Untersuchung dieses Themas gemäß der gängigen Rechtsprechung Straftatbestände erfüllt gewesen wären.

Irvings Bücher wie "Und Deutschlands Städte starben nicht" (1963), "Der Untergang Dresdens" (1964), "Aufstand in Ungarn" (1981), "Hitlers Krieg" (1985) oder seine Rommel- und Goebbels-Biographien wurden überall in der Welt in hohen Stückzahlen verkauft. Der Richter stellte David Irving, der als einer der besten Historiker des Dritten Reiches angesehen wird, im Urteil auch ein Gütesiegel aus, indem er sein Wissen über den Zweiten Weltkrieg als "einzigartig" bezeichnete. Dennoch kam er zu dem Schluß, daß die Vorwürfe von Frau Lipstadt zuträfen. Irving sei ein Rassist, ein Antisemit, und er verfälsche die Geschichte bewußt.

Insgesamt ist es der Verteidigung und ihren Gutachtern in der Verhandlung gelungen, Irvings Arbeit während der letzten Jahrzehnte regelrecht zu zerpflücken. Von der brisanten Frage der Existenz von Gaskammern in Auschwitz einmal abgesehen, hat sie auch stichhaltige Argumente liefern können, die Irvings Interpretationen teilweise ad absurdum führen. Viele bedeutende Beweise habe Irving falsch interpretiert oder gar pervertiert, lautete einer der Vorwürfe. So habe er beispielsweise in einer handschriftlichen Aufzeichnung Heinrich Himmlers das Prädikat "haben" als "Juden" interpretiert. An anderer Stelle habe Irving wissentlich ein falsches Dokument über die Opfer des alliierten Bomberangriffs auf Dresden benutzt.

Auch inhaltlich verwarf der Richter in seinem Urteilsspruch viele der Thesen Irvings. So widersprach er der Ansicht, Hitler sei innerhalb des NS-Staates gegen die härtere Gangart Himmlers, Heydrichs und der SS gewesen. Auch sei Hitler über die Vorgänge in Konzentrationslagern vollständig informiert gewesen. Irving dagegen hatte behauptet, der "Führer" habe die "Judenfrage" auf die Zeit nach dem Ende des Krieges verschieben wollen, wobei er sich auf das sogenannte Schlegelberger-Dokument stützt. Außerdem argumentiert er, daß es keinen Führerbefehl zur Endlösung gegeben habe. Im Urteil heißt es dazu, Irving habe "Beweisstücke in einer Weise verarbeitet, die nicht der Art eines gewissenhaften Historikers entspricht". Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT sagte Irving zu den Vorwürfen: "Der Richter hat die Wortlautprotokolle der Wannseekonferenz ignoriert und Argumente wie das Schlegelberger-Dokument nicht akzeptiert. Das tut heute kein ernstzunehmender Historiker mehr. Selbst Leute wie Eberhard Jäckel tun das nicht."

Besonders prekär im Themenkomplex der Judenvernichtung ist die Frage der Existenz von Gaskammern zum Zwecke der industriellen Ermordung von Menschen. Selbst Irving stellte nicht in Frage, daß es Fälle von Vergasungen von Menschen gegeben habe, bezweifelte aber die Existenz von Gaskammern in Auschwitz und die Höhe der angegebenen Opferzahlen.

Als Beweis führte Irving den Leuchter-Report an, dessen Fazit es ist, daß es aufgrund bautechnischer und chemischer Tatsachen gar keine Vergasungen in Auschwitz gegeben haben könne. Das jüngere, ebenfalls "revisionistische" Rudolf-Gutachten wurde nicht zu Rate gezogen. Der etwa zehn Jahre alte Leuchter-Report basiert auf Zyklon-B-Proben von den Wänden der Krematorien in Auschwitz und bildet den Kern der revisionistischen Thesen, daß es keine Vergasungen gegeben habe.

Der Bericht wurde im einzelnen analysiert und in seiner Aussagekraft im Hinblick auf die Menge des notwendigen Giftgases zur Tötung von Menschen von einem Gutachter der Verteidigung verworfen. Ungeklärt blieb die Frage, wie das Gas in den Raum gekommen sein soll. Kritiker wie Irving bemängeln das Vorhandensein von Löchern im Dach der Gebäude. Die Augenzeugenberichte schließlich wurden selbst vom Richter in Frage gestellte, weil sie vielfach "übertrieben und widersprüchlich" seien. Dennoch folgert der Richter in seiner Urteilsbegründung: "Kein objektiver und fairer Historiker kann ernsthafte Zweifel an der Existenz von Gaskammern in Auschwitz haben."

Eine weitere Debatte entbrannte wegen des alliierten Bombenangriffs auf Dresden. Auch hier ging es um die Zahl der Opfer. Irving selbst hatte die Opferzahl immer wieder (meistens nach unten) korrigiert. Der Richter folgte auch hier der Verteidigung in ihrer Argumentation, es habe sich höchstens um 30.000 Tote gehandelt, während Irving aufgrund von Zeugenaussagen von einer Zahl im Bereich von 250.000 Toten ausgegangen war. Die Variation dieser Zahl und die Dokumente, die Irving in der Vergangenheit angeführt hatte, wurden jetzt als Beweis für seine Unglaubwürdigkeit angeführt.

Schließlich beschuldigte ihn die Verteidigung, sich mit Neonazis in aller Welt "verbündet zu haben." In der Tat pflegt Irving Kontakte zu Parteien wie NPD, DVU und anderen rechten Gruppierungen in aller Welt. Er selbst erwiderte darauf, daß derartige Vorwürfe den schlimmsten Anschuldigungen der McCarthy-Ära gleichkämen, in denen der Vorwurf oft "Schuldig durch Assoziation" gelautet habe.

Den Historiker David Irving hat das Urteil getroffen. Da der 62jährige kaum für die schätzungsweise zwei Millionen Pfund wird aufkommen können, die die Niederlage vor Gericht nach sich zieht, steht er vor einem persönlichen Bankrott. Diesen hat er sich zu einem großen Teil selbst zuzuschreiben, weil er schließlich selbst den Prozeß in die Wege geleitet hatte. Außerdem hatte er in seiner Argumentation auf Gutachter verzichtet und sich sogar selbst vertreten, statt einen Anwalt mit der Vertretung seiner Interessen zu beauftragen. Auf seiner Internetseite verkündete er nur sarkastisch: "Ouch!"

Während Irving weder Anwalt noch Gutachter beschäftigte, sandte die nun triumphierende Gegenseite mehrere Sachverständige in den Gerichtssaal, darunter den Berliner Politikprofessor Hajo Funke. Die Arbeit dieser Gutachter im Auftrag der Verteidigung wird mit Beträgen zwischen 20.000 und 109.000 britischen Pfund kompensiert. Nach Angaben der britischen Tageszeitung The Guardian hat der Vorsitzende des jüdischen Weltkongresses, Edgar Bronfmann, einen beträchtlichen Betrag zu diesem Zweck gespendet. Und die Jüdische Wochenzeitung in England meldete, auch Steven Spielberg habe von Anfang an finanzielle Unterstützung für die Verteidigung geleistet.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen