© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
Musterurteil
Griechenland: Das Oberste Gericht verurteilt Deutschland
Gregor M. Manousakis

Der Areopag – das oberste griechische Berufungsgericht – hat Entschädigungsforderungen von Nachkommen griechischer Opfer der Besatzungszeit (1941-44) für rechtmäßig erklärt.

Das Landgericht von Levadia hatte 1997 Deutschland zu Wiedergutmachungen in Höhe von umgerechnet 55,8 Millionen Mark verurteilt. Das Geld soll den Nachkommen von 218 Opfern eines Massakers vom 10. Juni 1944 in Distomon ausgezahlt werden. Deutschland erkannte das Urteil nicht an und berief sich auf das allgemein und weltweit anerkannte Prinzip der Exterritorialität des Staates.

Der Areopag begründet sein Urteil damit, daß das Privileg der Exterritorialität eines Staates international auf dem Rückzug sei. Außerdem habe das Privileg der Exterritorialität keine Geltung, wenn Organe des Staates vorsätzlich Prinzipien des internationalen Rechts verletzen, insbesondere internationale Vereinbarungen über den Krieg und dessen Sitten. Dieser Argumentation schlossen sich 15 von den 20 Hohen Richtern an; fünf von ihnen, darunter auch der Präsident des Areopags, Mathias, hielten an der Exterritorialität des Staates fest. Bei seinem Urteil hat der Areopag auch das Urteil des Landgerichtes Karlsruhe vom 19. Oktober 1999 berücksichtigt, das die Klage eines Griechen, der Wiedergutmachung forderte, mit dem Hinweis abgewiesen hat, dafür seien die griechischen Gerichte zuständig.

Das Problem, mit dem nun Deutschland, Griechenland und Europa konfrontiert werden, ist das weitere Vorgehen nach dem definitiv rechtskräftigen Urteil von Levadia. Zahlt Deutschland, dann findet das griechische Vorbild Nachahmer in der ganzen Welt. Man kann sich in letzter Zeit des Eindrucks kaum erwehren, Deutschland stehe vor einer Welle von Reparationsforderungen, die in der Geschichte der Menschheit nicht ihresgleichen hat. Reparationszahlungen an Hunderte von Millionen Nachkommen von Opfern des Zweiten Weltkrieges kann Deutschland nicht leisten. Ebensowenig kann aber Deutschland in Konflikt mit allen Staaten geraten, die zivile Opfer aus dem Zweiten Weltkrieg haben und Reparationen nach griechischem Vorbild von ihm verlangen.

Griechenland ist ein zu kleines Land, um zum Vorreiter eines existenziellen Bedrängnis eines Staates zu werden, mit dem es seit 55 Jahren sehr gute Beziehungen unterhält und dem es aus vielen Gründen seinen heutigen wirtschaftlichen Stand mitverdankt. Nicht berücksichtigt hat der Areopag auch, daß Deutschland, mit Ausnahme seiner saloppen, aber folgenschweren Eskapaden mit Blick auf Jugoslawien, seit 1949 einen europäischen Musterstaat darstellt, von dem Europa und Griechenland sehr stark profitiert haben. Dies ist eine Leistung auch des deutschen Bürgers. Diesen Bürger nun mit Reparationsforderungen unabsehbarer Höhe zu konfrontieren, schafft den Musterfall, den wohl Cicero im Sinne hatte, als er den Grundsatz aussprach, summum jus, summa injuria. Auch diesen Grundsatz hat der Areopag nicht berücksichtigt.


 
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