© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
Bimbes auf russisch
Rußland: Nach und vor der Wahl in St. Petersburg
Marco Serbanescu

In St.Petersburg wurde von Journalisten und verschiedenen Parteien im Büro der Bürgerrechtsbewegung "Citizen Watch" eine Anti-Jakowlew-Vereinigung mit dem Namen "Liberaler Club" gegründet.

Ziel dieses Clubs sei die Verhinderung einer Neuwahl Jakowlews für den Gouverneursposten im Mai, hieß es. Der Herausgeber der Zeitung Karriera-Kapital, einer der Gründer des "Liberalen Clubs", war überrascht von der regen Teilnahme von Vertretern aus den unterschiedlichsten Bereichen und verschiedensten politischen Richtungen. Die Versammlung, die von Petersburger Journalisten organisiert worden war, wurde von Vertretern von Jabloko, der Union der Rechten Kräfte und des Blocks um Jury Boldyrew besucht: alle gaben sie sich darüber einig, daß Wladimir Jakowlew seine Wahlversprechen nicht wahrgemacht habe und kein Vertrauen mehr für eine weitere Regierungsperiode verdiene. Diskutiert wurde also über einen möglichen Gegenkandidaten, den man in Sergej Stepaschin sieht. Dieser machte bislang allerdings noch keine Ambitionen für diesen Posten geltend. Unterdessen wurde von der Zentralen Wahlkommission eine Untersuchung wegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl vom Dezember in St. Petersburg angekündigt. So sollen hier im 911. Wahlbezirk 1.413 Stimmzettel ausgegeben worden sein, in der Urne befanden sich bei der Auszählung jedoch 1.461. Ferner zählten die Wahllokale insgesamt 155 Ablehnungen aller Kandidaten, die Zentrale Wahlkommission berichtete hingegen von 107. Ist der Weg vom Wahllokal zum Computer der Zentralen Wahlkommission tatsächlich so lang und so unsicher?

Ruslan Linkow, der für das Demokratische Rußland mit Unterstützung der Union der Rechten Kräfte antrat und gegen die Vaterland-Ganz-Rußland-Kandidatin Valentina Iwanowa unterlag, erwägt, gegen diese vor Gericht zu ziehen, da sie ungesetzlicherweise 330.000 Rubel von der Firma Lentransgas als Wahlhilfe erhalten habe. Darüber hinaus ließ er durch seinen Anwalt der Presse mitteilen, er könne 95 Fälle von Unregelmäßigkeiten wie die oben angeführten belegen, was – wenn es sich als wahr erweisen sollte – die Vermutung nahelegen würde, daß jemand versuchte, bei der Wahl zu manipulieren.

Aber wer? Linkow beschuldigt den Petersburger Kopf der "Ganz-Rußland-Partei", Gouverneur Jakowlew, dieser hingegen den Kreml. Freilich kann nicht die Rede davon sein, diese Unregelmäßigkeiten hätten sich erheblich auf das Ergebnis der Wahlen ausgewirkt, allerdings passen diese "Unregelmäßigkeiten" ins Bild der Newametropole, die unter Jakowlew zu einem Hort der Mafia wurde: bereits seit Januar wurden hier drei führende Geschäftsmänner Opfer von Auftragsmorden, letztes Jahr waren es ein halbes Dutzend, darunter die beiden mächtigsten Zeitungsverleger, aber auch der stellvertretende Sprecher des Stadtparlaments: Dieser war übrigens als Zeuge in einem Korruptionsverfahren gegen den amtierenden Gouverneur Jakowlew vorgesehen.


 
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