© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
Gestrandete, Abenteurer, Krieger
In der Fremdenlegion stellten Deutsche lange Zeit das größte Kontingent
Thorsten Thaler

Keine andere militärische Einheit ist so legendenumwoben und mythendurchtränkt wie die Fremdenlegion. Vor allem auf Deutsche übt die im März 1831 durch eine Verordnung des Bürgerkönigs Louis Philippe ins Leben gerufene Legion étrangère seit jeher eine große Anziehungskraft aus. "Oft genug las ich in den Zeitungen über sie Berichte von so ausgesuchten Gefahren, Entbehrungen und Grausamkeiten, wie sie ein geschickter Reklamechef nicht besser hätte entwerfen können, um Tunichtgute meines Schlages anzuziehen", bekannte Ernst Jünger in seiner erstmals 1936 veröffentlichten autobiographischen Erzählung "Afrikanische Spiele".

Knapp 25 Jahre zuvor, Anfang November 1913, hatte sich der 18jährige Gymnasiast Jünger in Verdun bei der Fremdenlegion gemeldet. Die Legion sollte ihn nach Afrika bringen, wo er dann auf eigene Faust das Land erkunden wollte, "natürlich nicht, ohne mich zuvor an einigen Gefechten beteiligt zu haben, denn das Pfeifen der Kugeln kam mir wie eine Musik aus höheren Sphären vor, von der nur in den Büchern zu lesen war und deren teilhaftig zu werden man wallfahrten mußte wie die Amerikaner nach Bayreuth", wie Jünger in seiner Erzählung schrieb. Nur sechs Wochen später kehrte er jedoch desillusioniert nach Hause in die niedersächsische Provinz zurück, nachdem sein Vater mit Hilfe des Auswärtigen Amtes in Berlin alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um die Entlassung des Sohnes aus der Legion zu erreichen.

Der aus gutbürgerlichem Haus stammende Jünger war freilich ebenso untypisch für die Mehrzahl jener Gestrandeten, die in der Legion existentiellen Halt suchten, wie Prinz Albert Friedrich von Hohenzollern. Der Cousin von Kaiser Wilhelm II. trat unter dem Namen Albrecht Nordemann 1897 in die Legion ein und starb im Jahr darauf in Algerien an Typhus; seine wahre Identität wurde erst nach seinem Tod bekannt. Auch der Unternehmer und Sozialdemokrat Philip Rosenthal, der sich am 8. September 1939 für fünf Jahre bei der Fremdenlegion verpflichtete, um gegen Hitler zu kämpfen, statt dessen aber in der Sahara landete, mehrfach zu fliehen versuchte und dafür zu Zwangsarbeit verurteilt wurde und schließlich am 23. Oktober 1942 aus der Legion ausschied, steht nicht gerade für eine typische Söldnerbiographie. Die große Mehrheit der Freiwilligen kam aus den Unterschichten Europas, war getrieben von Hunger und Armut, Obdach- und Arbeitslosigkeit oder war auf der Flucht vor Alimenten und heimischen Strafgesetzen.

Für den Zeitraum von 1870 bis 1962 hat der Historiker Eckard Michels eine Zahl zwischen 100.000 bis 125.000 Deutschen – je nach Zählweise – ermittelt, die das weiße Kepi der Legion trugen; bei einer Gesamtzahl von rund 350.000 Angeworbenen oder Freiwilligen stellten die Deutschen in diesen knapp einhundert Jahren also ungefähr ein Drittel. Damit seien sie "quantitativ wie qualitativ die bei weitem wichtigste Nationalität in der Legion gewesen", schreibt Michels in seiner lesenswerten Studie "Deutsche in der Fremdenlegion 1870–1965. Mythen und Realitäten" (Schöningh, Paderborn 1999).

Dreimal in der Geschichte waren die deutschen Fremdenlegionäre sogar in der Mehrheit: in den zwei Jahrzehnten nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, dann Mitte der zwanziger Jahre und schließlich erneut auf dem Höhepunkt des Indochina-Krieges 1953/54. Am 8. Dezember 1954 notierte der FAZ-Korrespondent Adalbert Weinstein, auf einer mehrwöchigen Rundreise durch das vom Krieg zerrissene Indochina habe er "auf den Grabkreuzen fast ausschließlich als Geburtsorte Städte und Dörfer gefunden, die zwischen Königsberg und Trier, Hamburg und München lagen".


 
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