© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
CD: Klassik
Glaubensstark
Julia Poser

Vielleicht hat sich mancher Hörer von Bachs h-Moll-Messe gefragt, warum dieser glaubensfeste Protestant eine römisch-katholische Messe komponiert hat. Um diese Frage zu klären, muß man sich die politische und religiöse Situation in Sachsen des 18. Jahrhunderts in Erinnerung rufen. Solange Friedrich August I., August der Starke genannt, sächsischer Kurfürst war, vereinte ihn und seine Landeskinder die protestantische Religion. Um aber die politische Krone zu erlangen, mußte er 1697 zur katholischen Religion übertreten, wie auch sein Nachfolger Friedrich August II. Unter Sachsens toleranten Herrschern galt aber nicht cuius regio,eius religio, sondern eine überwiegend protestantische Bevölkerung wurde von katholischen Fürsten regiert.

Seit 1722 lebte und wirkte Bach als Thomaskantor in Leipzig, ein hochangesehenes Amt, aber überaus arbeitsreich; denn der Thomaskantor war für die Musik der vier Hauptkirchen verantwortlich, mußte regelmäßig neue Kantaten komponieren und hatte außerdem noch Chor-und Orchesterproben sowie die Schulmusik zu leiten.

Trotz der zahlreichen Pflichten fand Bach noch Zeit für häusliche Musikabende, Privatunterricht und für die "Collegium musicum" genannten allwöchentlichen Konzerte. Die Kirchenmusik blieb jedoch sein Hauptanliegen. Im Jahre 1733 widmete Bach Kyrie und Gloria seiner einzigen Messe seinem katholischen Landesherrn Friedrich August II. mit der untertänigsten Bitte, ihm das Amt des Hofkompositeurs in Dresden zu verleihen, weil er mit dem Rektor der Thomasschule häufig in Konflikt kam. Erst 1748 – zwei Jahre vor seinem Tod – erweiterte Bach sein Werk zu einer vollständigen römisch-katholischen Messe mit Credo, Sanctus und Agnus Dei. Dabei bediente sich Bach einer damals üblichen Form der "Selbstentlehnung", heute würde man es "Recycling" nennen, indem er auf frühere Kompositionen zurückgriff und diese zum monlithischen Block der h-Moll-Messe verschmolz.

ARTE NOVA hat Johann Sebastian Bachs Hohe Messe mit dem Bach-Ensemble der Europa Chor-Akademie unter der ruhigen Leitung von Joshard Daus und mit den Münchner Symphonikern auf einer Doppel-CD herausgebracht (74321-63632-2). Feierlich nimmt Daus die klagenden Kyrie-Sätze. Im Gloria gelingt ihm mit dem Chor, begleitet von heroischen Trompetenklängen, ein Ausbruch strahlender Freude. Tiefe Sehnsucht nach Frieden herrscht dann in "Et in terra pax". Das Gratias bringt der Chor in demütigem Ton, verhalten "Qui tollis peccata mundi". Mit großer Innigkeit folgt "Et incarnatus est" und das ergreifende "Crucifixus". Jubelnd erklingt das sofort einsetzende "Et resurrexit". Im Sanctus übertrifft sich der Chor noch einmal, besonders durch die schönen Frauenstimmen. Zusammen mit den präzise spielenden Münchner Symphonikern wird eine Leistung geboten, welche diesem einmaligen Meisterwerk entspricht.

Die h-Moll-Messe ist in erster Linie ein grandioses Chorwerk. Für die Solisten schrieb Bach jedoch auch ergreifende Soli. Hedwig Fassbenders samtig weicher Mezzo tönt wie schwebender Engelsgesang im "Laudamus te" während sich im "Et in unum Dominum" Helen Kwons klarer Sopran aufs Schönste mit dem Mezzo vereinigt. Neben den beiden großartigen Frauenstimmen haben die drei Sänger Mühe, sich zu behaupten. Mit gutgeführtem Bariton singt Wolfgang Newerla das Glaubensbekenntnis zur katholischen Kirche, Peter Lika als Baß das "Quoniam tu solus sanctus". Peter Strakas Tenor klingt im "Benedictus" etwas zu verhalten.

In Bachs 250. Todesjahr ist diese Einspielung aus der Philharmonie im Münchner Gasteig ein großes Klangerlebnis gläubigen Christentums.


 
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