© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
Betroffenheit
Kino: "Doppelmord" von Bruce Beresford
Werner Olles

Nach einer feuchtfröhlichen Liebesnacht auf ihrer neuen Segeljacht wacht Libby Parsons (Ashley Judd) am nächsten Morgen über und über mit Blut besudelt auf. Der Platz an ihrer Seite ist leer, ihr Ehemann Nick (Bruce Greenwood) ist verschwunden, eine Blutspur zieht sich quer über das Boot und endet an der Reeling. Schon bald wird sie von der Polizei des Mordes an ihrem Mann verdächtigt, vor Gericht gestellt und zu einer hohen Haftstrafe verurteilt. Libby überläßt ihren fünfjährigen Sohn Matty ihrer Freundin Angie (Annabeth Gish), aber die beiden verlassen kurz darauf die Stadt und sind für die verzweifelte Mutter nicht mehr erreichbar. Als es ihr endlich mit Hilfe einer Mitgefangenen gelingt, Angie und Matty per Telefon in San Francisco ausfindig zu machen, wird ihr jedoch schnell klar, daß sie von Nick und Angie für einen großangelegten Versicherungsbetrug hereingelegt worden ist.

Wegen guter Führung wird Libby nach sechs Jahren auf Bewährung entlassen. Sie beginnt die Suche nach ihrem Sohn und Ehemann, verfolgt von ihrem Bewährungshelfer Travis Lehman (Tommy Lee Jones), der weiß, daß sie sich an Nick rächen will. Die Spur führt schließlich nach New Orleans, wo sich Nick eine völlig neue Identität zugelegt hat. Und Travis Lehman ist klar, daß Libby ihren Mann nun ungestraft töten kann, denn nach den amerikanischen Gesetzen darf niemand zweimal für die gleiche Tat verurteilt werden. Es beginnt eine gnadenlose Jagd und ein erbarmungsloser Kampf jeder gegen jeden...

Bruce Beresfords ("Miss Daisy und ihr Chauffeur", "Black Robe – Am Fluß der Irokesen", "Last Dance") Thriller "Doppelmord" , der in den USA über 115 Millionen Dollar einspielte und ein Renner in den Kinos wurde, ist ein durchaus professioneller und spannender Film, wenngleich auch nicht frei von klischeehaften Elementen und gewissen Stereotypen. Zudem wirkt das Drehbuch von David Weisberg und Douglas S. Cook über weite Strecken ziemlich unrealistisch und wenig überzeugend. Wieso wurden zum Beispiel die Blutspuren auf der Jacht nicht genauer untersucht, und warum wurden Libbys Anwalt und die Polizei nach Angies und Mattys plötzlichem Verschwinden nicht mißtrauisch? Allerdings machen die Spannung, die der Film vor allem in der zweiten Hälfte aufbaut, und die guten schauspielerischen Leistungen von Tommy Lee Jones und Ashley Judd so manche Unstimmigkeiten wieder wett.

Viel mehr als die typischen Thriller-Elemente wie die Verstellung, die Falle, der falsche Verdacht und die Jagd hat er dennoch nicht zu bieten. Neben diesen festumrissenen Codes setzt Beresford auf eine gehörige Portion Action und Glamour, ohne die ein recht langweiliger oder zumindest sehr kalter Film herausgekommen wäre. Damit widersetzt sich "Doppelmord" jedoch einer eindeutigen Definition, es ist nicht mehr die Raffinesse der Intrige, die den Thriller ausmacht, sondern der Grad der Betroffenheit, den sie auslöst. Zu seiner Mythologie gehört, daß die anderen Menschen und die Gesellschaft das Schicksal des Helden – in diesem Fall der Heldin – sind. Davon löst sich der Film in keiner Szene, er läßt jedoch genügend Freiraum, um der Spannung ausreichend Respekt zu zollen.

Die Melodramen/Thriller der Schwarzen Serie in den vierzigern und fünfzigern Jahren waren zumeist Filme, die die Abgründe im Menschen einer nüchtern-mythisierenden Analyse unterzogen, indem sie Situationen extremer Täuschung, Mordkomplotte von teuflischer Präzision und lebensgeschichtliche Fallen, aus denen es kein Entrinnen mehr zu geben schien, thematisierten. Heute ist die pessimistische Stimmung und Misogynie jener Zeit einer allgemeinen, unverbindlichen nihilistischen Misanthropie gewichen. Für einen guten Thriller ist das ein bißchen dürftig.


 
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