© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
Barocke Dramatik
Ausstellung: Adriaen de Vries in Augsburg
Rüdiger Ruhnau

Endlich findet ein Künstler in der breiten Öffentlichkeit Anerkennung, der zu den bedeutendsten Bildhauern um 1600 gehört und mit seinem unverwechselbaren Stil zu den Wegbereitern des Barock zählt. Das Maximilianmuseum der Fuggerstadt präsentiert in seinen historischen, zum Teil mit Fresken geschmückten Räumen unter dem verpflichtenden Titel "Adriaen de Vries, 1556–1626. Augsburgs Glanz – Europas Ruhm" mit 40 Bronzen, über 50 Zeichnungen und Kupferstichen sowie Archivalien und Modellen eine in Deutschland einmalige Werkschau des in Den Haag geborenen Künstlers.

Als Schüler des berühmten Giambologna in Florenz erlernte de Vries alle Techniken der Bildhauerei. In der Mailänder Werkstatt des Pompeo Leoni erwarb er Erfahrungen in der Herstellung monumentaler Bronzestatuen, machte sich selbständig, gewann als Hofbildbauer des Herzogs von Savoyen internationales Ansehen. Während eines Aufenthaltes in Rom, wo der inzwischen Vierzigjährige die Skulpturen der Antike studierte, erreichte ihn ein attraktives Angebot aus der freien Reichsstadt Augsburg. Dort stand vor dem Rathaus der Augustus-Brunnen, zu Ehren des Stadtgründers und Namensgebers, des römischen Kaisers Augustus. Für die Errichtung zweier weiterer Monumentalbrunnen fiel die Wahl auf Adriaen de Vries, einen der wenigen Meister im Gestalten von Großbronzen.

Von 1596 bis 1602 schuf de Vries im Herzen der Fuggermetropole, auf der Prachtstraße zwischen Dom und dem Reichsmünster St. Ulrich und Afra, den Merkurbrunnen und den Herkulesbrunnen. Der Götterbote Merkur mit Flügelhelm und Schlangenstab, Amor zu Füßen, verherrlicht Augsburgs wirtschaftliche Macht. Der Herkulesbrunnen steht seit dem Jahre 1602 an seinem originalen Aufstellungsort in der heutigen Maximilianstraße, er zeigt die Hauptfigur Herkules im Kampf mit der Hydra. Bei der letzten Restaurierung, 1998, war die Oberfläche der Bronze stark korrodiert, die Originalgruppe wurde durch einen Abguß ersetzt und ist heute nach konservatorischer Behandlung in der Ausstellung zu betrachten.

Ausgangspunkt des Ausstellungsrundganges ist der neue, mit einer gläsernen Dachkonstruktion überspannte Innenhof des Maximilianmuseums. Hier sind die Monumentalbronzen sowie Leihgaben aus dem Schloßpark von Drottningholm bei Stockholm zu sehen. Der Rundgang läßt den Besucher die künstlerische Entwicklung von de Vries verfolgen, bis hin zu seinen Prager Werken. Nach 1602 wirkte der Künstler ununterbrochen in Prag, wohin ihn Kaiser Rudolf II. als "Kammerbildhauer" berufen hatte. Er führte dort zahlreiche Auftragsarbeiten für höchste Gönner aus. Bei der lebensgroßen Bronzefigur der "Psyche, die von drei Putten zum Olymp getragen wird", wendete er das Konzept einer nur minimal abgestützten Komposition an, dadurch entsteht der Eindruck eines schwerelosen Dahinschwebens der in straffer Körpermodellierung ausgeführten Figur. In "Der Farnesische Stier" oder in dem Bronzerelief "Bacchus findet Ariadne auf Naxos" greift de Vries auf die Darstellung klassischer Göttersagen zurück, Szenen von eindring-licher barocker Dramatik.

Während das bildplastische Werk des Adriaen de Vries schon lange gewürdigt wird, trifft dies für seine Handzeichnungen weniger zu. Bis vor einigen Jahrzehnten kannte man überhaupt nur ein einziges signiertes und datiertes Blatt von ihm. Inzwischen hat man zehn Zeichnungen dem Bildhauer zuordnen können, die als Vorlagen für Skulpturen dienten. Unter den in Augsburg ausgestellten frühen Handzeichnungen von de Vries fällt besonders eine mit Feder und Pinsel in Braun gehaltene Zeichnung auf, die als Vorstudie für eine Bronzestatue des Apollo diente. Das interessante Blatt ist eine Leihgabe aus Danzig und gehörte bis 1945 zum kostbaren Fundus der 2.000 Objekte umfassenden Sammlung von Handzeichnungen des Danziger Stadtmuseums.

Die Ausstellung wartet auch mit zwei den Künstler darstellenden Portraits auf: Ein längliches, bärtiges Gesicht blickt uns entgegen, aus dem eine Portion Willenskraft spricht. Ausgestattet mit dem zeittypischen Mühlradkragen, stammt das kleine Ölbild von einem unbekannten Maler. Dagegen ist das als Kupferstich ausgeführte de Vries-Portrait ein Werk des Augsburger Stechers Kilian.

Für seine zur vollsten Zufriedenheit abgelieferten Arbeiten wurde de Vries von der Stadt Augsburg fürstlich entlohnt. Er erhielt 7.100 Floren (Goldgulden); ein Maurermeister samt Gesellen bekam seinerseits ein Salär von 1,5 Floren in der Woche. Dabei ist zu bedenken, daß der Künstler nur das gußfertige Wachsmodell abzuliefern hatte. Für den Bronzeguß selbst war der über Augsburgs Grenzen hinaus bekannte Gießmeister Wolfgang Neidhardt verantwortlich; er mußte die für den "Herkules" notwendigen 90 Zentner Bronze zur Schmelze bringen und für den fehlerfreien Guß sorgen.

In Augsburg, einem der Zentren mitteleuropäischer Bronzekunst, kann man studieren, wie der Manierismus aus der Überlieferung der Renaissance schöpft und schließlich als Kunst der Gegenreformation zum Barock überleitet.

Die Ausstellung dauert noch bis zum 12. Juni. Der empfehlenswerte Katalog (432 S. 80 Farb- und 160 s/w-Abb.) kostet als Museumsausgabe 64 Mark.


 
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