© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/00 28. April 2000

 
Schlesien
Inspektion einer literarischen Seelenlandschaft
Jessica Rohrer

Nicht Jüngers Marmorklippen, nein, der einzige Roman von Rang, der im Dritten Reich erschien, ist Horst Langes Schwarze Weide." Der Oberschlesier Horst Bienek notierte dies Ende der 70er Jahre in seinem Journal "Beschreibung einer Provinz", als sich kaum jemand an den 1971 verstorbenen Liegnitzer Romancier erinnerte.

Horst Lange, Jochen Klepper, der 1942 mit seiner jüdischen Frau und Stieftochter den Freitod wählte, Max Tau, der Entdecker Wolfgang Koeppens, schließlich Friedrich Bischoff, der Verfasser melancholisch-prophetischer Abgesänge auf die schlesische Heimat Jahre vor dem Untergang von 1945: Sie, und nicht die bei solchen Inspektionen stets traktierten Großdichter Hauptmann und Stehr, repräsentieren in dieser Aufsatzsammlung Schlesien als "literarische Landschaft" des 20. Jahrhunderts.

Der Berliner Germanist Alfred Kelletat hat in seiner Kritik an Helmut Motekats mißglückter Literaturgeschichte Ost- und Westpreußens (München 1977) einst grob skizzierte Richtlinien für eine solch regional fundierte Literaturgeschichte formuliert: Um den breiten Untergrund einer provinzialen literarischen Kultur zu erkunden, muß man nicht primär von den Autoren her, sondern von Orten und Landschaften und vom Lesepublikum her, bis zur Alltagsliteratur, bis zur Trivialität hin, unter Einbeziehung von Mundart und Volksdichtung sowie unter gründlicher Einbettung in die politische Geschichte schreiben.

Gemessen daran enttäuscht – der verdienstlichen Beschäftigung mit Lange oder Klepper zum Trotz – auch dieser Versuch, das Wechselverhältnis von Literatur und Region zu erkunden. Dazu hätten die dii minores, die vor und nach 1933 um die Formung schlesischer Identität bemühten Heimatdichter und Kulturfunktionäre, deren Institutionen und Medien, in harter Quellenarbeit, etwa anhand der unerschöpflichen Bestände der Reichsschrifttumskammer im Bundesarchiv, berücksichtigt werden müssen. Bei den Bänden über Pommern und Ostpreußen, die der Herausgeber ankündigt, sollte man diese Anstrengung nicht scheuen.

 

Frank-Lothar Kroll (Hg.), Schlesien. Literarische Spiegelungen im Werk der Dichter, Duncker & Humblot, Berlin 2000, 201 S., 98 Mark


 
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