© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000

 
Die Dritte Republik
Haider hat die FPÖ auf den Weg gebracht und tritt vorerst ins zweite Glied
Carl Gustaf Ströhm

War es, wie manche hoffen, das Ende einer von Glanz und Haß begleiteten politischen Karriere – oder war es, wie andere erwarten, nur ein Atemholen vor dem Anlauf zu einem neuen Siegeszug? Auf dem Parteitag der FPÖ in Klagenfurt übergab Jörg Haider den Vorsitz an Susanne Riess-Passer, die mit 91 Prozent der Delegiertenstimmen zur Parteichefin der österreichischen Freiheitlichen gewählt und somit seine Nachfolgerin wurde. Aber kann Haider überhaupt "Nachfolger" haben? Man muß nicht in den berüchtigten "Personenkult" roter Provenienz verfallen, um festzustellen, daß dieser Mann eine einmalige Erscheinung der österreichischen und (deutschen) Politik ist. Viele, gewiß nicht alle (zumindest aber die meisten) Erfolge der FPÖ sind ihm zu verdanken. Er hat wie selbstverständlich das "gewisse Etwas", nach dem herkömmliche Politiker, trotz teurem Schneider, bestbezahlter PR und williger Teilnahme an jedem Trtachtenumzug vergeblich streben. Nun muß die FPÖ beweisen, daß sie auch mit Politik überzeugen kann.

Auch der oft apokalyptische Haß, der sich gegen ihn Bahn bricht, richtete sich in erster Linie gegen ihn, nicht so sehr gegen seine Partei. Haider hat in den Jahren seit 1986, als er die damals eher wenig bedeutende und zahlenmäßig schwache FPÖ auf die Erfolgsstraße führte, ein scheinbar alternativloses, schicksalhaftes System der Politik in Österreich ins Wanken und am Schluß zum Einsturz gebracht. Hier liegt sein historisches Verdienst – selbst dann, wenn er sich morgen aus der Politik verabschieden sollte. Der österreichische Proporzstaat, in dem sich die großen politischen Parteien den Staat (und gar beträchtliche Teile der Gesellschaft) als Beute untereinander aufteilen, ist nach und wegen Haider nicht mehr praktizierbar – zumindest nicht in der bisherigen Form. Zugleich hat Haider mit instinktiver Sicherheit früher als viele andere die Brüchigkeit und damit Fragwürdigkeit des Brüsseler EU-Europas durchschaut. Während sich viele Bürgerliche – vor allem die deutschen und österreichischen Christdemokraten – in naiver Verherrlichung und Verniedlichung des "europäischen Einigungsprozesses" ergingen, griff Haider jene Ängste und Sorgen des kleinen Mannes vor den bürokratischen, seelenlosen, unidentifizierbaren Europa-Bürokraten auf. Gerade die jüngsten Entwicklungen – vom Österreich-Boykott bis zum Verfall der Kunstwährung "Euro" (wobei sich fast alle europäischen Politiker mit katastrophalen Fehlprognosen gründlich blamiert haben) haben dem "Populisten" aus Österreich recht gegeben. Daß er sein Ziel, die Stimmenmaximierung für seine Partei, nicht immer mit Glacehandschuhen anging, löste Empörung aus – aber auch das wirkte eher scheinheilig: Im Prinzip hat Haider mit all seinen deftigen Aussprüchen nichts anderes gesagt, als andere "populistisch" begabte Politiker vor und neben ihm – von Franz Josef Strauß bis Bruno Kreisky – auch schon formuliert haben. Die aufgeschaukelte Empörung über einige Haidersche Äußerungen, angefangen mit dem Zitat von der "ordentlichen" Beschäftigungspolitik im Dritten Reich (das aus dem Zusammenhanggerissen "hochgejubelt" wurde, bis hin zu seiner Ehrenerklärung für die kämpfende Truppe der Waffen-SS: all dies ist, von Sebastian Haffner bis Konrad Adenauer, bereits gesagt worden. Der erste Bundeskanzler in Bonn hat sogar eine schriftliche Ehrenerklärung für die besagte Truppe abgegeben, und zwar etwa zu der Zeit, als er mit Ben Gurion die Wiedergutmachung für Israel regelte. Der Haß, der Haider entgegenschlug, wird aus der Angst genährt, hier könne jemand in das Gehege der Pfründe und der Macht einbrechen. Der Machterhalt kommt in solchen Fällen zuerst, dann erst die Moral. Dabei werden Feinheiten geflissentlich übersehen: denn Haider war es, der das "dritte" oder "nationale " Lager in Österreich von der Vergangenheitslast befreite. Er setzte eine radikale Verjüngung durch und schob viele "alte Kameraden" (die in puncto Vergangenheit weitaus angreifbarer waren als er, der "Nachgeborene") aufs Altenteil. Was ihm übelgenommen wurde, war sein Erfolg.

Dieser Erfolg, der ihm bis zu 27 Prozent der Wählerstimmen einbrachte, ist aber mehr als nur "Flugsand". Vielmehr wird da die Sehnsucht nach einer Alternative, nach einem Ausbruch aus den Reglementierungen und Zwängen spürbar. Deshalb ist Haider, wie Otto von Habsburg diagnostizierte, weder Nazi noch Antisemit. Er spricht für jene, die gegen einen Überstaat, gegen den "Leviathan" auftreten möchten – und sich oft nicht trauen. Man mag zu seiner Partei stehen, wie man will – niemand wird im Ernst behaupten, sie sei weniger demokratisch strukturiert als andere Parteien. Vielleicht ist die FPÖ ein Hecht im parlamentarischen Karpfenteich – aber selbst dann hätte sie ihre Funktion. Entscheidend ist, daß die Partei nicht einfach zum dritten Nutznießer neben rot und schwarz wird. Deshalb heißt es: Genau hinsachauen!

Der in Kärnten als Landeshauptmann residierende Haider kann sich jetzt in Ruhe überlegen, ob er "wiederkommen" will. Als Regierungschef eines österreichischen Bundeslandes hat er durchaus das Recht und die Pflicht, sich zu Wort zu melden. Jene Wiener Größen, die dauernd fordern, er müsse den Mund halten, muß man mit der schlichten Gegenfrage konfrontieren: Gilt für den Staatsbürger Haider nicht die verfassungsmäßige Freiheit der Meinung und Rede?


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen