© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000

 
PRO&CONTRA
Verfassungsschutz abschaffen?
Josef Schüßlburner / Dr. Hans-Peter Uhl

Während sich der Staatsschutz des Westens gegen politisch motivierte Straftaten richtet und insbesondere einen gewaltsamen Umsturz der Staatsordnung abwenden soll, hat der Verfassungsschutz der freiheitlichen Bundesrepublik vor allem den ideologischen Gegner im Visier. Diesem wird im Widerspruch zur Rechtsstaatskonzeption keine Gesetzesverletzung, sondern eine falsche Gesinnung vorgeworfen. Zur Bekämpfung des inneren Feindes identifiziert sich der Staat notgedrungen mit bestimmten "Werten", wie "Ausländerfreundlichkeit" oder ausgewählten geschichtlichen Wahrheiten. Damit wird die staatliche Neutralität gegenüber allen politischen und weltanschaulichen Strömungen beeinträchtigt, welche nicht nur die Voraussetzung für die rechtsstaatliche Beachtung des Diskriminierungsverbotes, sondern vor allem des Verfassungsprinzips der freien Bildung politischer Opposition darstellt.

Grundrechte werden dabei des institutionellen Charakters entkleidet und degenerieren zur bloßen "Toleranz": Sie schützen den Bürger nicht mehr gegen staatliche Übergriffe, sondern dienen dem "Verfassungsschutz" zur Identifizierung des inneren Feindes: Fazit sind amtliche ideologische Feinderklärung durch Verfassungsschutzberichte und darauf aufbauende die Chancengleichheit von Parteien beeinträchtigende Diskriminierungsmaßnahmen. Die Kombination mit dem Herrschaftsinstrument der wahlrechtlichen Sperrklausel führt dann zur Bildung eines Kartellparteiensystems. Die Unverbrüchlichkeit des Rechts der freien Oppositionsbildung ist damit nicht mehr gewährleistet.

Das Potential der Gefährdung der politischen Freiheit, das im ideologischen Verfassungsschutz liegt, kann für einen Anhänger der freien Demokratie nur zur Forderung führen: Der deutsche Sonderweg "Verfassungsschutz" als gewissermaßen "dritter Weg" der Demokratiekonzeption ist abzubrechen.

 

Josef Schüßlburner ist Autor eines im Laufe dieses Jahres erscheinenden Buches über den Verfassungsschutz.

 

 

Der Gedanke einer Abschaffung des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist absurd. Wer glaubt, daß mit dem Ende des Ostblocks die Ausspähung deutscher Behörden und von Industrieunternehmen geendet haben müßte, sollte seinen Kopf aus dem Sand ziehen und die Augen aufmachen. Nach wie vor betreiben die russischen KGB-Nachfolgeorganisationen eine intensive Auslandsaufklärung, besonders im Bereich der Wirtschafts- und Militärspionage. Die Versuche nah- und fernöstlicher Nachrichtendienste (neben den klassischen Ausspähungen im Bereich Wirtschaft, Politik und Forschung), die Exportkontrollen sensibler Güter (und damit das Verbot der Verbreitung atomarer, biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen) zu unterlaufen, nehmen zu. "Gesprächsabschöpfungen", wie sie im Zusammenhang mit der "Echelon"-Debatte im Europäischen Parlament thematisiert wurden, sind unser täglich Brot, auch ohne daß wir dessen gewahr werden. Die Stasi-Unterlagen-Diskussion zeigt, daß ein Inlandsgeheimdienst keine absolute Abwehrgarantie gegen Spionagetätigkeiten darstellt. Aber sie belegt die Notwendigkeit eines Staates, sich gegen illegale Aufklärung zu wehren. Der zweite wichtige Bereich der Inlandsaufklärung betrifft die Abwehr von extremistischen Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung von links und rechts, aber auch von religiös-extremistischen ausländischen Organisationen. Der Schutz der Verfassung ist nicht nur eine Frage der inneren Bereitschaft, diese gegen ihre Feinde auch mit geheimdienstlichen Mitteln zu verteidigen, sondern auch ihrer Institution. Ich meine sogar, daß dem Inlandsgeheimdienst gerade im Hinblick auf die Bedrohung durch die organisierte Kriminalität (OK) neue Aufgaben zugesprochen werden sollten. Überall dort, wo es zu einer Einbindung des Verfassungsschutzes in die Polizeiarbeit kam, gab es deutliche Fortschritte bei der Strafverfolgung von OK-Delikten.

 

Dr. Hans-Peter Uhl, CSU, ist seit 1998 Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Innenausschusses.


 
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