© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Überschrift
Karl Heinzen

"Join us", bittet der Deutsche Gewerkschaftsbund und versucht damit mutmaßlich, eine Jugend für sich zu begeistern, die schon seit längerem nicht mehr sehr viel von ihm wissen will. Wahrscheinlich gibt es, wenn man von der PDS und den Vertriebenenverbänden einmal absieht, in unserem Land keine andere Massenorganisation, die die Bevölkerungsstruktur der nahen Zukunft schon heute so präzise abbildet. Es spricht für die hohe Gemeinwohlorientierung des DGB, daß er sich dennoch weiterhin mit Themen wie "Ausbildungsplätze" oder "Jugendarbeitslosigkeit" abgibt, statt der Interessenlage des Gros seiner Mitglieder folgend ausschließlich die "Rentenanpassung" und den "Vorruhestand" in den Mittelpunkt zu stellen. Gerade diese Gemeinwohlorientierung ist es aber, die ihn für die meisten Menschen so unattraktiv macht. Wer einer seiner zusammengewürfelten Einzelgewerkschaften beitritt, muß befürchten, daß er nicht nur Beiträge zu zahlen hat, sondern auch gezwungen wird, sich mit dem verbliebenen Rest an Folklore zu identifizieren und – schlimmer noch – etwas zu demonstrieren, was man mit dem per se schon hausbackenen Begriff Solidarität bezeichnet. Dies kann von jemandem, der jung und unangepaßt ist, seinen Platz in unserer Gesellschaft noch sucht und vor allem vollauf damit beschäftigt ist, in der Selbstvermarktung erfolgreich zu sein, im Ernst nicht verlangt werden.

Der DGB wird also in seinem eigenen Interesse von jenem hohen Roß heruntersteigen müssen, auf dem er heute weniger die Sozialpartner einschüchtert, als vielmehr seine Klientel abschreckt. Zukunftssicherung kann für ihn nur heißen, zunächst seinen Anspruch an sich selbst neu zu formulieren. Es gilt, das abstrakte Eintreten für soziale Gerechtigkeit und Humanität im Wirtschaftsleben endlich auch symbolisch zu verabschieden und sich statt dessen auf den Kundendienst an den eigenen Mitglieder zu konzentrieren; und hier liegt sicherlich vieles im argen, weil man bislang auf gesellige Sozialromantik und nicht auf echten Service setzte. Einen grundsätzlichen Bruch mit der Tradition bedeutet dies freilich nicht. Die Gewerkschaften entstanden, um die Besitzlosen in das System der Herrschenden einzubinden, und nicht, um dieses zu zerschlagen. Heute, da alle längst miteinander versöhnt sind, wäre es ungerecht, sich darüber zu empören, daß neue systemkonforme Zwecke in den Vordergrund treten. Leicht wird es der DGB damit aber nicht haben. Die Gewerkschaften sind weder der ADAC noch ein Online-Anbieter, noch betreiben sie ein Mobilfunknetz. Ihnen werden daheregal, welches glaubwürdige Leistungspaket sie schließlich schnüren, die Mitglieder nicht automatisch zuströmen.

Auf jeden Fall aber wird die Zufriedenheit im DGB selbst wachsen, weil die Bigotterie, daß 74 Prozent der Menschen Gewerkschaften für notwendig halten, aber viel weniger ihnen beitreten, endlich ein Ende hat.


 
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