© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Der linke Radler im Kosovo
Carl Gustaf Ströhm

Bei seinem jüngsten Besuch im Kosovo stieß Bundesverteidigungsminister Scharping ins Horn der political correctness: Albaner und Serben in der inzwischen von der Nato okkupierten Provinz sollten sich gefälligst endlich vertragen, das "Zusammenleben" lernen und sich von ihren "Extremisten" und "Nationalisten" lossagen. Sinngemäß lautet die von den Amerikanern ausgegebene und von den Deutschen eifrig nachgebetete Botschaft an Albaner und Serben: "Verträgt euch endlich, sonst setzt es Hiebe" (sprich: Sanktionen).

Ja, wenn das so einfach wäre! Deutsche Sozialdemokraten und Grüne leiden unter einem "Blackout", was Geschichtsverständnis und -kenntnis betrifft. Sie haben wenig Ahnung von Nationalitätenproblemen. Die unübersichtliche ethnische, religiöse, zivilisatorisch-kulturelle Mischung des europäischen Südostens ist ihnen ein "balkanisches" Dorf. Sie meinen, man müsse diese sturen und streitsüchtigen Balkanesen notfalls mit "demokratischer" Gewalt zu ihrem angeblichen Glück zwingen. Das Glück aber ist die von der Linken und von liberalen Kreisen dies- und jenseits des Atlantik propagierte "multinationale", "multiethnische" Multikulti-Gesellschaft, in der Friede, Freude und Eierkuchen samt westlicher Demokratie verwirklicht sind.

Der Denkfehler liegt (leider) offen zutage: Wenn der bisher zwischen Albanern und Serben im Kosovo herrschende Zustand fürchterliche Konflikte, Mord und Totschlag, Raub und Vergewaltigungen produzierte – dann wäre es eigentlich logisch, anzunehmen, daß die Wiederherstellung dieses Zustandes zu neuen Konflikten und Krawallen führen muß. Überdies hat sich jetzt auf beiden Seiten ein Bedürfnis nach Rache angestaut. Ein Albaner, dem die Serben das Haus angezündet und die Tochter vergewaltigt haben, wird auf das friedliche Zusammenleben mit anderen Augen schauen als ein zu einem Blitzbesuch angereister Minister. Ähnlich wie in Sizilien oder im Kaukasus ist bei den Albanern nicht selten die Blutrache lebendig.

Das Kosovo-Problem ist über 600 Jahre alt: seit der Schlacht auf dem Amselfeld – serbisch: Kosovo Polje – im Jahre 1389. Die Serben – und zwar nicht nur die Führungsschichten und die Intellektuellen, sondern auch die einfachen Leute, träumen vom "Großserbischen Reich" und vom heiligen Boden des Kosovo, der ihnen "historisch" zustehe. Diese "großserbische" Denkweise zieht sich durch alle Belgrader Parteien von links bis rechts, von den Milosevic-Sozialisten bis zum oppositionellen Parade-Serben Zoran Djindjic, der so fabelhaft und fast akzentfrei Deutsch spricht (Frankfurter Schule!). Auf der anderen Seite stehen die Albaner, die vor Beginn der ethnischen Säuberung bereits über 90 Prozent der Kosovo-Bevölkerung stellten. Die Albaner verlangen die Anwendung des einst vom Westen proklamierten Selbstbestimmungsrechts. Aber der Westen schreckt vor der Verwirklichung seiner eigenen Prinzipien zurück – aus Angst, die Serben endgültig zu verprellen. Doch schwelt unter der Decke noch eine zweite Angst: Die Kosovo-Albaner gelten als historische Verbündete und Schützlinge der Deutschen und Österreicher. Vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb der Westen den Albanern ihren Traum verweigert: die souveräne Republik Kosovo. Die gewendeten und bußfertigen Deutschen aber machen eilfertig bei einer falsch konzipierten westlichen Kosovo-Politik mit. Diese Politik – da mag die KFOR noch so martialisch auftreten – steuert auf ein Fiasko zu.


 
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