© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000

 
Ein Volk zwischen den Stühlen
Südafrika: Die wirtschaftliche und politische Lage der indischen Minderheit zwischen Schwarzen und Weißen
Frank de Beer

In Südafrika leben über eine Million Inder, besitzen Pässe, Bürgerrechte und genießen gesetzlich verankerte Gleichstellung – und doch fühlen sich die meisten immer noch diskriminiert, verraten, verkauft und vergessen. Eine Untersuchung aus dem Jahre 1998 – vier Jahre nach dem offiziellen Ende der Apartheid – ergab, daß 56 Prozent glauben, unter dem Regime der Rassentrennung ein besseres Leben geführt zu haben als heute. Die indische Gemeinschaft Südafrikas befindet sich in einer Identitätskrise, sie fühlt sich ausgegrenzt und befürchtet, im Kampf um die knappen Arbeitsplätze und Ressourcen im Land ins Hintertreffen zu geraten. Sie glaubt, von sinkendem Ausbildungsstandard und steigender Kriminalität besonders hart getroffen zu sein, und stimmt – unisono mit den Weißen und Mischlingen des Landes – das Lied einer dunklen Zukunft für das "schwarze" Südafrika an.

Als 1958 der sogenannte "Group Areas Act", politischer Eckpfeiler der Apartheid-Philosophie, landesweit in Kraft gesetzt wurde, mußten auch Inder in ghettoähnliche Vororte weichen – ein Zuckerbrot für die weißen Geschäftsleute, die über zunehmende Konkurrenz indischer Händler klagten. Jetzt schreiben plötzlich schwarze Chefredakteure wie Amos Maphumulo von der parteieigenen IFP-Zeitung Ilanga Leitartikel wie: "Vielleicht wird auch hier in Südafrika eines Tages eine afrikanische Mutter mit der Geburt eines neuen Idi Amin gesegnet werden". Er beschuldigt Inder, Gewalt zwischen Schwarzen zu schüren, und des Ziels, "die afrikanische Rasse auslöschen zu wollen". Obwohl sich die IFP, die Inkartha Freedom Party, schnell von Mapumulo distanzierte und ihren Chefredakteur suspendierte, wurde noch einmal Öl in ein Feuer gegossen, das Südafrika als bereits bekämpft geglaubt hat: das Feuer des Rassenhasses, diesmal zwischen schwarz und braun.

"Viele Inder fühlen sich bedroht, besonders von der Kriminalität", erklärt Suntherin Naicker. Dreimal wurde seine Familie bereits überfallen, seit kurzem ist er stolzer Vater und macht sich Sorgen besonders um die Zukunft seiner kleinen Tochter. Er glaubt, daß sich, seit seine Vorfahren in Südafrika gelandet sind, nichts an der Behandlung von Indern als "Menschen Zweiter Klasse" geändert habe. "Vor 1994 waren Inder nicht weiß genug, heute sind wir zu weiß um etwas zu bedeuten", so der 31jährige. "Über Jahre hinweg hat uns das Apartheid-Regime diskriminiert, weil wir zu schwarz waren, heute sind wir nicht schwarz genug, um vom Affirmative-Action-Programm zu profitieren."

Der sogenannte Employment Equity Act, das gesetzlich verankerte Regierungsprogramm, das die Beschäftigtenstruktur mit Hilfe von Affirmative Action – bei gleicher Qualifikation wird bei der Jobvergabe ein Mitglied einer bisher diskriminierten Minderheit bevorzugt – und gesetzlich vorgeschriebener Quoten so schnell wie möglich an die ethnische Struktur der Bevölkerung anpassen soll, steht ganz oben auf der Liste der Vorwürfe an die neue Regierung. "Es ist nicht genug, bei einem Bewerbungsgespräch genauso gut wie ein Schwarzer zu sein, man muß sehr viel besser qualifiziert sein, um überhaupt eine Chance zu haben", klagt Suntherins Frau Ranjeni, "die meisten Firmen wollen keine Inder einstellen, sie wollen Schwarze."

Vor den zweiten freien Wahlen im Juni 1999 versuchten die politischen Parteien, die Ängste und Probleme der Inder anzusprechen und die Bevölkerungsgruppe auf ihre Seite zu ziehen. Während die Oppositionsparteien die Ängste der Inder vor der Kriminalität, der "Affirmative Action" und dem "Afrikanismus" schürten und behaupteten, Inder in Südafrika würden Gefahr laufen, marginalisiert zu werden, versuchte der regierende African National Congress (ANC) zu beschwichtigen. "Alle, die in der Vergangenheit diskriminiert wurden – Schwarze, Inder und Mischlinge – müssen bevorzugt werden. Inder haben im ANC ein genauso natürliches Zuhause wie alle anderen unterdrückten Bevölkerungsgruppen", erklärte Valli Moosa, selbst Inder, Minister unter Präsident Nelson Mandela und Hauptwahlkämpfer des ANC in der Provinz KwaZulu-Natal, wo auch heute noch die meisten Inder leben.

Auch der designierte neue Präsident Thabo Mbeki schaltete sich ein: "Wir müssen akzeptieren, daß wir alle Südafrikaner sind. Entweder schwimmen wir alle gemeinsam, oder wir gehen gemeinsam unter." Die indische Gemeinschaft isoliere sich selber mit dem Ergebnis, daß "viele intelligente, gut ausgebildete und talentierte Menschen nicht an der Transformation teilhaben", so Mbeki. Doch die so Adressierten hörten nicht, wählten wie schon 1994 mehrheitlich die Oppositionsparteien. Während damals sogar die National Party, die alte Regierungspartei zu Zeiten der Apartheid, den Vorzug erhielt, wählten die meisten Inder im Juni 1999 die Democratic Party, von vielen als exklusive "weiße Partei der Besserverdienenden" bezeichnet, oder die Minority Front, eine exklusive indische Klientelpartei. "Viele sehen die indische Gemeinschaft in Südafrika immer noch als homogene Gesellschaft", versucht Sanusha Naidu, Professorin der Politikwissenschaft an der Universität Durban-Westville, die Stimmung zu erklären. "Aber auch wir Inder sind in Klassen gespalten, sind unterschiedlich hinsichtlich Bildung, Einkommen, Sprache und Religion." Im Gegensatz zur herrschenden Auffassung seien knapp 60 Prozent aller Inder in Südafrika der Arbeiterklasse zuzuordnen, so Naidu, und gerade diese fühlt sich ausgegrenzt von der Politik des ANC. "Trotz aller Beteuerungen glauben sie, der ANC würde in erster Linie die Interessen und Bedürfnisse der Schwarzen sichern. Die Mittelklasse, Fachkräfte und selbstständige Unternehmer zum Beispiel, fühlt sich viel weniger bedroht."

So wie Rakesh Beekum. Er ist Projektmanager einer großen Computerfirma. "Viele von uns sind heute im IT-Business", erzählt Beekum, "und vielen von uns geht es heute deutlich besser als noch zu Apartheid-Zeiten. Auch, wenn ich meine ehemaligen Schulkameraden sehe, sie haben es alle zu etwas gebracht. Sie haben leitende Managementpositionen einnehmen können, haben Häuser in vornehmen Vororten gekauft und ihren Lebensstandard deutlich erhöhen können. Auch meine Familie und ich stammen aus armen Verhältnissen", erklärt er, und er habe ebenfalls bereits schlechte Erfahrungen mit Affirmative Action gemacht. "Aber wir Inder finden immer einen Weg voranzukommen und Geld zu machen. Das liegt in unserer Kultur, so sind wir erzogen worden. Meine Eltern haben mich gezwungen zu studieren." Gerade macht Beekum noch zusätzlich seinen "Master of Business Administration" (MBA), demnächst will er ins Ausland. "Aber nur für ein oder zwei Jahre, um etwas Auslandserfahrung zu sammeln. Denn Südafrika, das ist meine Heimat", sagt er. Demgegenüber weiß Suntherin Naicker nicht, was die Zukunft bringen wird: "Ich kann nur raten, und im Raten war ich noch nie gut."


 
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