© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000

 
In einem fremden Körper
Kino I: "Being John Malkovich" von Spike Jonze
Werner Olles

Ein arbeitsloser Puppenspieler hat es nicht einfach, besonders wenn er in New York lebt. Daß die kleine Wohnung von Craig Schwartz (John Cusack) und seiner Frau Lotte (Cameron Diaz) durch den Einzug von Affen, Katzen, Hunden und Papageien langsam eher einem Zoo gleicht, wäre vielleicht noch zu verkraften, wenn nur ein lohnenswerter Job zu erwarten wäre. Aber endlich verspricht eine interessante Stellenanzeige in der Zeitung das Ende aller finanziellen Sorgen.

Craig kann ein leichtes Staunen nicht unterdrücken, als sich herausstellt, daß sein neuer Wirkungsort in der 7 1/2. Etage liegt. Und noch merkwürdiger wird es, als besagte 7 1/2. Etage wegen der niedrig gehängten Decke nur mit stark gekrümmtem Rücken betretbar ist. Als ihm eines Tages seine Aktenmappe hinter einen Büroschrank fällt, entdeckt er dort eine Geheimtür, hinter der sich ein dunkler Tunnel öffnet. Er krabbelt hinein und wird sofort von einem starken Luftzug in den tiefen Schlund gesogen. Nach einer kurzen, aufregenden Reise findet sich der Angestellte plötzlich im Körper des Schauspielers John Malkovich wieder. Eine Viertelstunde lang erlebt er nun alles aus dem Blickwinkel des Stars, bis er sich nach einem neuerlichen unsanften Trip in einem Straßengraben an der Peripherie New Yorks wiederfindet.

Craigs attraktive Kollegin Maxine (Catherine Keener), in die er sich unglücklich verliebt hat, glaubt ihm zunächst kein Wort, als er ihr diese wahnsinnige Geschichte erzählt, und auch bei seiner Frau Lotte stößt er auf erhebliche Zweifel. Aber durch einen praktischen Test kann er beide Damen von der Richtigkeit seiner Angaben überzeugen. Die Dinge komplizieren sich allerdings, nachdem Maxine sich mit John Malkovich verabredet hat und Lotte zur gleichen Zeit einen Besuch im Körper des Schauspielers macht. Die beiden Frauen erleben auf diese Weise eine bizarre "Menage à trois".

Tolle Geschäfte witternd gründen John und Maxine die "J.M.inc." für Spezialreisen und Kurzurlaube, pro Trip 200 Dollar. Und tatsächlich gehen die Geschäfte auch blendend, denn wer wollte nicht einmal für fünfzehn Minuten in John Malkovich sein. Die Dinge überstürzen sich jedoch, als dieser eines Tages Wind von der Sache bekommt, sich im 7 1/2. Stock am Ende der langen Schlange anstellt und sich dann in einer Alptraumwelt aus lauter Malkovichs wiederfindet. Und endgültig außer Kontrolle gerät das Ganze, als Craig seine Frau Lotte in den Affenkäfig sperrt, um ihren Platz in Malkovich einzunehmen. Denn nur so kann er seiner angebeteten Maxine, die inzwischen die Geliebte des Stars geworden ist, nahe sein. Er bringt es sogar fertig, daß Malkovich seinen Beruf als Schauspieler hinwirft und der berühmteste und beste Puppenspieler der Welt wird. Dann wird Maxine von Malkovich/Lotte schwanger. Sieben Jahre später sitzen die beiden glücklich verliebten Frauen mit ihrer entzückenden kleinen Tochter an einem Swimming-Pool...

Es ist in der Tat kaum möglich den ganzen Film in wenigen Sätzen zusammenzufassen. Manche Szenen erinnern einen an die schrägen Einfälle der britischen Comedy-Truppe Monty Python, andere an gewisse Bilder von Escher. Dabei geht es wie in den meisten Filmen um Liebe, um Identität, Intrigen und Persönlichkeitsspaltungen, aber auch um Comic-Phantasien voller absurder Wendungen und Extremreisen. "Being John Malkovich" ist der erste lange Spielfilm des bislang nur als Regisseur von Musikvideos, Dokumentationen und Kurzfilmen hervorgetretenen 29jährigen Spike Jonze und gleichzeitig das erste verfilmte Drehbuch des Autors Charlie Kaufman, der hier auch als ausführender Produzent fungiert. Es war seine Idee, einen speziellen Tunnel zu kreieren, der schließlich zur Attraktion eines New Yorker Wolkenkratzer wird und allen, die ihn betreten, fünfzehn Minuten lang eine völlig neue und andersartige Sicht auf die Welt bietet.

Wenn der Film sich surrealistischer Einfälle und Stilmittel bedient, dabei jedoch durchaus auch tragikomische Züge zeigt, so überhöht er die ironisch verfremdeten Szenen doch nie ins Mythische. Wie Craigs Frau Lotte und seine Kollegin Maxine zum Beispiel mit John Malkovichs tatkräftiger Hilfe eine Vereinigung der besonderen Art erleben, begeistert nicht nur die drei daran beteiligten Akteure, sondern auch die Zuschauer. So ist "Being John Malkovich" nicht nur ein Film über New York, einen Puppenspieler, seine tragische Ehe, eine unglückliche und eine unmögliche Liebe, einen Schauspieler und einen Highway nach New Jersey, sondern vor allem eine phantastische und intrigante Geschichte, die gleichzeitig für beste Unterhaltung sorgt. Indem er unsere Ängste und Wünsche spiegelt, ist er Faszination, Traum und Vergnügen. Indem er die festgefügte Bildsprache des Fantasy-Genres sprengt und ganz unschuldig den weiblichen "Mythos" in einer neuen und eigenen Identität präsentiert, neutralisiert er auch die Macht der Männer. Die Frauen können sich zum Schluß frei in einer allerdings immer noch von Männern bestimmten Welt bewegen.

Wenn Lotte und Maxine ihre Sexualität gleichsam isolieren und von ihrer Person abzuspalten versuchen, erkennen sie auch die Spaltung von Liebe und Sexualität als Riß, der mitten durch ihre Seelen, ihr Bewußtsein und ihre Körper geht. Sie lassen ihre unbefriedigende Ehe (die vielen Haustiere als Ersatz für die fehlenden Kinder) und ihren hektischen Job (der schmerzlich gekrümmte Rücken als Symbol für die tagtägliche Unterdrückung) hinter sich, nachdem sie während des gemeinsamen sexuellen Erlebnisses mit John Malkovich ihre Liebe zueinander entdeckt haben. Daß der männliche Körper dabei nur als eine Hülle bzw. als Werkzeug oder Hilfsmittel gedient hat, ist jedoch weit mehr als nur eine der üblichen modischen feministischen Attitüden.


 
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