© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000

 
Die Meister ehren
Oper: Massenets "Werther" in Würzburg
Werner Veith

Die Bühnen in Würzburg gelten als Provinztheater – und teilen ihr Schicksal mit vielen, vielen Kulturstätten in den kleineren Großstädten Deutschlands. Nach Salzburg, Bayreuth und München schielen die süddeutschen Opernkritiker und übersehen dabei manchen Rohdiamanten. Vielleicht sollte man einfach analytischer vorgehen beim Vergleich der Theater: Inszenierung für Inszenierung einander gegenüberstellen, schließlich Bühnenbild für Bühnenbild, Kostüm für Kostüm, Gesangsleistung für Gesangsleistung. Dann könnte man sich manche lange Reise an die Bayerische Staatsoper nach München sparen.

Beispiel Würzburg: Die Premiere von Massenets "Werther" im Mainfränkischen Theater. Das Orchester unter Leitung von Jonathan Seers spielte hervorragend, besonders die Streicher und die Holzbläser glänzten durch nuancierte Klangfarben. Seine 53 Musiker kreierten die zwei Grundstimmungen der Oper – tragische Leidenschaft und sittliches Pflichtgefühl – durch ein feinfühliges Wechselspiel von aufgeregtem, dunklen Moll und ruhigem D-Dur. Das Dirigat von Seers bräuchte einen Vergleich mit CD-Einspielungen nicht zu scheuen – weder mit der neueren Aufnahme von Wladimir Jurovksi (BMG-Klassiks), noch mit den legendären Schallplatten mit Alfredo Kraus, George Thill oder Iwan Koslowski.

Einige Gesangsleistungen in Würzburg könnten sich bei den Salzburger Festspielen durchaus hören lassen. Gilbert Mata als Werther sang sehr feinfühlig und differenziert. Sein Tenor schmetterte nicht kraftmeierisch Arien, sondern er traf seine Rolle als sensibler, gebrochener Dichter, der in sich gekehrt von seinen Träumen und Emotionen singt (wenn auch etwas steif). Nur mit dem französischen Sprechgesang (Rezitativ) tat er sich wie alle Sänger ein wenig schwer, da fehlte es manchmal an Schmelz und Wärme.

Ebenso hervorragend war die Stimme von Ulrike Kobalz. Sie verkörperte Charlotte, die weibliche Hauptfigur und verheirate Frau, die auf Werthers Liebesüberschwang reagiert und sich verzehrt. Ihr Mezzosopran wirkte gefühlvoll und geschmeidig, ohne ins Sentimentale abzugleiten.

Den tragischen Rahmen verließen nur der exzellente Kinderchor und die unbeschwerte Sophie (Anja Kaesmacher), die mit bunten Blumen im Haar von der Bühnendecke herabschwebte und sang: "Alle Welt ist fröhlich ... das Glück liegt in der Luft."

Trotz dieser positiven Einzelheiten gab es eine große Enttäuschung: das Würzburger Publikum. Mindestens 20 Prozent der Plätze blieben leer – und das bei einer Premiere am Samstagabend, am besten Tag der Woche.

Warum muß auch alles auf Französisch sein? könnten die abwesenden Theaterliebhaber einwenden. Immerhin wurde bei der Weltpremiere 1892 in Wien auf deutsch gesungen. Erst Jahre später wurde "Werther" eine der beliebtesten Opern in Frankreich. Dem wäre zu entgegnen: Erstens setzte das Würzburger Theater erstmals Übertitel ein. Die deutsche Übersetzung war oberhalb der Bühne zu lesen. Und zweitens spielt man in Würzburg zur Zeit "Die Leiden des jungen Werthers" von Goethe – man kann sich also vorbereiten.

Oder liegen die Gründe für die Ablehnung tiefer? Vielleicht verachten die Mainfranken ihre Meister, weil sie Angst vor dem unheimlichen Thema Selbstmord haben? Jedenfalls zählt Unterfranken zu den Regionen mit einer der höchsten Selbstmordraten in Deutschland. Oder ist das handlungsarme Liebesdrama manchem Zeitgenossen einfach zu weltfremd, weil heutzutage das heilige Sakrament der Ehe vielen nicht mehr allzu heilig ist? Oder zu kitschig, zu sentimental? Die Mainfranken gelten als "rauhes, trockenes Volk", meinte eine junge Würzburgerin.

Gewiß kann man über Inszenierung und Bühnenbild geteilter Meinung sein (die Spielleiter interessieren sich in ganz Deutschland nicht für die Originalanweisungen): halbmodern, fast abstrakt-minimalistisch, mit angedeuteten Häuserfassaden, schwarz-weiß und schiefwinklig. Aber auf jeden Fall schöner als das häßliche Theatergebäude selbst, das ein Produkt sozialdemokratischer Städtebaupolitik der späten sechziger, frühen siebziger Jahre ist.

Karten für das Mainfränkische Theater (Theaterstr. 21, 97070 Würzburg) sind unter Tel. 0931 / 3908-124 sowie http://www.theaterwuerzburg.de    erhältlich.


 
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