© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000

 
Einsichten in den Wahnsinn
Ausstellung zum 70. Geburtstag des Zeichners Chlodwig Poth
Werner Olles

Chlodwig Poths Zeichenstil ist geprägt durch die ständige Zusammenarbeit mit F.W.Bernstein, F.K. Waechter, Hans Traxler, Robert Gernhardt und Eckhard Henscheid, die vorwiegend in den satirischen Zeitschriften Pardon und Titanic, deren Mitbegründer Poth war, veröffentlichen. Die "Neue Frankfurter Schule", wie diese Autoren und Zeichner in durchaus nicht nur ironischer Anlehnung an die Kritische Theorie der Frankfurter Schule ihre Zusammenarbeit bezeichnen, ist bislang der letzte einflußreiche und lebendige Satirezirkel in der deutschen Nachkriegsliteratur zu sein. Dazu hat Chlodwig Poth als Stammvater der Frankfurter Satiriker einen gewichtigen Teil beigetragen.

Der Karikaturist Poth spielt lustvoll mit Figuren, Szenen, Handlungen und Gesten, mit Verhaltensmustern und mit Mustern der Alltagssprache, die er seinem parodistischen, travestierenden Spieltrieb überantwortet. Bereits die Titel seiner Skizzen, Comics und Karikaturenserien sind gewissermaßen Programm und geben Auskunft über die (zwerchfell)erschütternden Einsichten in den ganz normalen Wahnsinn des vorstädtischen Alltags, in die tiefsten Tiefen unserer Kleinbürgerseelen oder in die Schwierigkeiten der alt gewordenen Achtundsechziger, mit ihrer linken Gesinnung Schritt zu halten. So hat er mit "Last Exit Sossenheim" nicht nur diesem zwischen ländlicher Idylle und großstädtischen Verheerungen schwankenden Frankfurter Stadtteil ein Denkmal gesetzt, sondern einen grandiosen Zyklus des Sossenheimer Wesens und Strebens geschaffen.

In krassem Gegensatz zu diesen oft menschenleeren, vergessenen Ecken und toten Winkeln steht die wortreich bevölkerte Szenerie auf dem "Hundehassblatt" oder das Bloßlegen unserer unmerklich tiefkorrumpierten Alltagssprache mitsamt der sie steuernden Wahrnehmungsmuster, das in "Mein progressiver Alltag" heilsam zur Wirkung kommt.

Poth, am 4. April 1930 in Wuppertal geboren, zeichnete während seines Kunststudiums in Berlin für die Tarantel, die Satire-Zeitschrift der DDR, war später Redakteur der Dunlop-Werkzeitung und arbeitete in der Werbung, wo er nach eigenen Angaben sehr viel gelernt hat, bis er mindestens zwei Generationen im 1962 von ihm mitgegründeten Pardon und dessen Nachfolger Titanic vorzeichnete, wie es in den diversen Frankfurter Milieus aussieht und zugeht. Dabei avancierte er nach und nach zum Historiographen bundesrepublikanischer Trivialitäten, dessen Beobachtungen in den siebziger und achtziger Jahren immer differenzierter wurden. Seine satirischen Skizzen über Beziehungskrisen, Urlaubskatastrophen, Eitelkeiten, Skrupel und rhetorische Selbsttäuschungen der urbanen künstlerisch-akademisch-politischen Intellektuellen-Szene veredelten sich zunehmend zu einem gezeichneten Jargon der Uneigentlichkeit.

Klassische Schauplätze sind die Szenekneipe, die Wohngemeinschaft und das Schlafzimmer, wo die verqueren Beziehungsdiskussionen der "Alternativen" deren unausrottbare Neigung zum Spießigen offenbar werden lassen. Poth vergaß aber auch die verschandelten Stadtteile am Rande Frankfurts mit ihrer unsäglichen Nachkriegsarchitektur, den unvermeidlichen Wasserhäuschen – hier kurz "Büdchen" genannt – und dem Alkoholgenuß der dort heimischen "Penner" mit ihren Sprechblasen als wichtigem Bestandteil einer florierenden Subkultur.

All dies zielt zwar radikal und herzlos auf das Lachen der Betrachter und Leser, aber die virtuosen Bemühungen des Künstlers Schicht um Schicht in Form der Karikatur eine frühe kritische Ästhetik der Postmoderne in den satirischen Provinzen zu kreieren, signalisieren dem Publikum ein Natur- und Weltbild, das den Menschen als nur mehr verzeihliche, mitleidheischende Kreatur unter anderen betrachtet. Und in der Tat, sieht man die sich in Poths Karikaturen ereignenden Wunder einmal aus diesem Blickwinkel, wirken sie plötzlich weit weniger spektakulär, sondern sind von nachhaltiger Heilkraft.

Unter allen Zeichnern der "Neuen Frankfurter Schule" ist Chlodwig Poth gewiß der Bodenständigste, auf jeden Fall aber der Innovativste und am stärksten Reflektierendste. Das epische Personal seiner parodierten banalen Standardsituationen und die Probleme aus dem Szene-Alltag der "fortschrittlichen Kreise" mögen in den neunziger Jahren, als Poth sein Domizil aus der Innenstadt nach Sossenheim verlegte, gewechselt haben. Die Muster des Komik-Genres erfüllen sich jedoch auch glänzend in den unverstellten Gefühlen seiner neuen Protagonisten, den kleinen Leuten und ihren renitenten und mißratenen Sprößlingen. Wie er einst vergnüglich den linken Grundwiderspruch zwischen Hedonismus und Klassenkampf thematisierte, so stehen heute im Brennpunkt seines und unseres Entzückens die schier gänzlich unauffällige Zeichenkunst seiner Sossenheimer Alltagseinblicke, die tragikomischen Digressionen deutscher Mißverständnisse oder der geradezu ausschweifend dokumentierte Haß auf Hunde.

Die Retrospektive, mit der die Stadt Poth im Historischen Museum auch als Maler sozialkritischer, realistischer Bilder ehrt, ist zugleich die erste Ausstellung, mit der die aus Kassel exportierte "Caricatura" ihre Arbeit in Frankfurt am Main aufnimmt. Eine "Galerie für komische Kunst" soll sich hier etablieren, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf die Künstler der "Neuen Frankfurter Schule" gelegt werden wird. Mit "Euch werd ich’s zeigen" ist den Veranstaltern dabei ein hervorragender Einstieg gelungen.

Die Ausstellung "Euch werd ich’s zeigen – Zeichnungen, Comics, Aquarelle, Ölbilder und Skizzen von Chlodwig Poth" wird bis zum 4.Juni 2000 im Frankfurter Historischen Museum, Saalgasse 19, 60311 Frankfurt gezeigt.


 
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