© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/00 05. Mai 2000

 
Auf Honeckers Stuhl
Hans Wilderotter (Hg.): Das Haus am Werderschen Markt. Von der Reichsbank zum Auswärtigen Amt
Doris Neujahr

Vor wenigen Monaten hat das Außenministerium seinen neuen Sitz in Berlin bezogen. Er befindet sich im Stadtzentrum, in einem mächtigen Bau am Werderschen Markt, der zwischen 1934 und 1940 für die Reichsbank errichtet wurde. Nach dem Krieg war dort das DDR-Finanzministerium untergebracht, 1958 nahm das Zentralkomitee der SED ihn in Beschlag. In der zweiten Etage, dem "Hochsicherheitstrakt der Macht" (H. Müller), etablierten sich mit dem Politbüro und dem Sekretariat der SED die beiden tatsächlichen Entscheidungszentren der DDR. 1990 zog mit der erstmals frei gewählten Volkskammer der DDR ein neuer Geist in das Haus. Und heute sitzt Joschka Fischer in eben jenem Zimmer, in dem einst Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht und später Erich Honecker residierten.

Dieser vom Berliner Kulturhistoriker Hans Wilderotter herausgegebene Band stellt das repräsentative Buch zum Umzug des Außenamtes dar. Die durchweg kenntnisreichen Aufsätze beschäftigen sich mit den unterschiedlichen Bau-, Umbau- und Nutzungsphasen des Hauses, wobei sie manches Vorurteil korrigieren. Das Reichsbankgebäude kann, obwohl die letzte Entscheidung über den Entwurf von Hitler persönlich getroffen wurde, keineswegs als "Nazi-Bau" abqualifiziert werden. In der damaligen Architekturkritik wurde es, anders als Görings Luftfahrtministerium – das heutige Finanzministerium –, auch nie als vorbildlich herausgestellt.

Die Pläne dafür reichen bis in die Weimarer Republik zurück. Am Wettbewerb beteiligten sich auch Walter Gropius, Hans Poelzig und Mies van der Rohe. Den Zuschlag erhielt jedoch der weniger bekannte Heinrich Wolff. Sein Entwurf war einer "konservativen Moderne" und dem schmucklosen, funktionalistischen Stil verpflichtet, der in der Spätzeit der Weimarer Republik für öffentliche Bauten favorisiert wurde. Der Bau war so massiv ausgelegt, daß sein Gehäuse den Krieg relativ unbeschadet überstand. In den Tresoren seiner bombensicheren Keller lagerten unter anderem Kunstschätze aus den Berliner Museum, aber auch das Zahngold ermordeter Juden.

Der amerikanische Historiker Harold James hat einen klugen, differenzierenden Beitrag über die Politik der Reichsbank im "Dritten Reich" verfaßt, die weitgehend durch ihren Präsidenten Hjalmar Schacht bestimmt wurde. Schachts finanzpolitische Fähigkeiten sind unbestritten. Er wagte hin und wieder sogar offene Kritik an Hitlers Finanz- und Wirtschaftskurs. 1939 schied er im Streit mit ihm aus dem Amt. Trotz mancher Einwände gegen das NS-System kam sein technokratischer Politikansatz, bei dem ethische Grundsätze nur eine untergeordnete Rolle spielten, aber letztlich dem Regime zugute. Der "Schachtianismus", eine "Kombination aus eingefrorenen Schulden und politisch dirigiertem Handel", hatte im Ausland den Ruf "einer neuen Philosophie der Wirtschaftssteuerung". Die Reichsbanker waren nüchtern genug, sich schon Mitte 1943 mit den Vorstellungen der Alliierten für eine währungspolitische Nachkriegsordnung zu beschäftigen und sich durch einen Emissär die Pläne des Wirtschaftsgurus John Maynard Keynes erläutern zu lassen.

Für den neuen gläsernen Kopfbau, der die Vorderfront des Gebäudes jetzt vollständig verdeckt und über dessen Außenwirkung Laien wie Experten geteilter Meinung sind, wurden Platzgründe geltend gemacht. Bei den riesigen Dimensionen des alten Hauses (rund 550.000 Kubikmeter umbauter Fläche) leuchtet dieses Argument nicht recht ein. Er ist in Wahrheit eben doch ein zeittypischer Kompromiß, der der Konfrontation mit den Teilen der deutschen Geschichte, die das Terrain kontaminieren, die Schärfe nehmen soll. Ohne ihn wäre die Demonstration demokratischen Selbstbewußtseins, die der Umzug in dieses Haus natürlich darstellt, womöglich noch eindrucksvoller ausgefallen.

Mit dem Umbau zum Außenamt wurde Hans Kolhoff beauftragt, der ein "Drei-Schichten-Modell" entwarf, das neben der Gegenwart auch die "braune" und die "rote" Phase in der Geschichte des Hauses lesbar macht. Zugleich entstand durch das Aufbrechen zugemauerter Fenster, das hereinflutende Oberlicht und monochrome Flächen in Rot und Kobaltblau, die Kolhoffs Partner Gerhard Merz an Decken und Wänden über das ganze Haus verteilt hat, der Eindruck von Helligkeit, Modernität, von Offen- und Aufgeschlossenheit. Die rund 200 Fotos erlauben es dem Betrachter, sich selber ein Bild vom früheren und heutigen Zustand des Gebäudes zu machen.

 

Hans Wilderotter (Hg.): Das Haus am Werderschen Markt. Von der Reichsbank zum Auswärtigen Amt., dt./engl., Jovis-Verlag. Berlin 2000, 304 Seiten, ca. 200 z.T. farbige Abb., 98 Mark


 
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