© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/00 12. Mai 2000


Boykottmüdigkeit
von Carl Gustaf Ströhm

Die Binsenweisheit, daß nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde, scheint sich nach der Azorenkonferenz der EU-Außenminister zu bestätigen. Wiens Außenministerin Ferrero-Waldner konstatierte: "Man hört uns wieder zu." Sechs EU-Länder – Irland, Italien, Finnland, Dänemark, Spanien und Griechenland – setzten sich mehr oder weniger energisch für eine Beendigung der gegen die Alpenrepublik verhängten Sanktionen ein. Sogar die Deutschen, denen es zwar wie üblich an Mut vor EU-Thronen mangelt, wollen nichts überstürzen – und Joschka Fischer hielt gar höflich einen grünen(!) Regenschirm über dem Haupt seiner Wiener Amtskollegin.

Auch Frankreich, das neben Belgien zu den Scharfmachern der Anti-Wien-Aktion gehörte, ist jetzt behutsamer geworden: Es wäre nicht gut, wenn die bevorstehende französische EU-Präsidentschaft mit einem Eklat und endlosen Konflikten buchstäblich untergehen würde. Die Wiener Regierung hat instinktiv etwas richtig gemacht: Sie hat sich durch das Trommelfeuer der veröffentlichten Meinung nicht beirren lassen und ist ihren Weg gegangen. Spätestens jetzt stellt sich heraus, daß die österreichische Regierung eine ganz normale europäische Regierung ist, genauso demokratisch (und vielleicht bürokratisch) wie alle anderen. Die Initiatoren des Österreich-Boykotts müssen konstatieren, daß sie sich ins eigene Fleisch geschnitten und sich selber – sowie der vielgepriesenen Europa-Idee – geschadet haben, als sie zum Boykott eines Landes und seiner Menschen aufriefen – obwohl sich diese nichts zuschulden kommen ließen.


 
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