© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/00 12. Mai 2000

 
Der schwarze Riese verdeckt auch roten Bimbes
Der Altkanzler kommt wahrscheinlich nicht vor Gericht
Paul Rosen

Es wirkt fast schon lächerlich, wie die Justiz mit dem ehemaligen "Kanzler der Einheit" umgeht. Da ermitteln die Bonner Staatsanwälte monatelang gegen Helmut Kohl, und etwas besseres als eine Anklage wegen "Untreue" fällt ihnen vermutlich nicht ein. Tatsächlich scheint man dem Phänomen Kohl und seinem durchtriebenen Finanzsystem mit juristischen Mitteln nicht voll beikommen zu können. Der Oggersheimer hat niemanden betrogen, er hat kein Geld aus der Partei- oder Staatskasse genommen, er hat nichts unterschlagen. Er hat nur durch sein geheimbündlerisches Wirken dem demokratischen Bewußtsein schweren Schaden zugefügt und die Bundesrepublik durch seine Geldzuwendungen auf eine Ebene mit lateinamerikanischen Bananenrepubliken gestellt. Doch das alles ist nicht strafbar, und deshalb tun sich die Bonner Staatsanwälte so schwer mit dem Finden eines Straftatbestandes und dem Verfassen einer Anklageschrift.

Aber die staatlichen Ankläger stehen unter einem starken Druck der Öffentlichkeit, die wie im alten Rom neue Opfer für die Raubtiere in das Collosseum geführt sehen möchte. Und Helmut Kohl auf der Anklagebank im Saal des Bonner Landgerichts wäre schon ein Anblick, der die langsam gelangweilte deutsche Öffentlichkeit wenigstens für einige Tage wieder auf Trab bringen könnte. Ein Nervenkitzel wie beim Fußballspiel – und von den Türen des Gerichtssaales berichten die Reporter von N24 und ntv live in die deutschen Wohnzimmer.

Der Unterschied zu den Raubtierszenen im alten Rom liegt natürlich auf der Hand: Deutsche Gerichte sind keine Einrichtungen, wo Urteil und Strafmaß von vornherein feststehen. Und ein Angeklagter Kohl dürfte nicht als reuiger Sünder im Büßerhemd auftreten, sondern eine gezielte Verteidigungsstrategie anwenden. Schon hat Kohls Anwalt Stephan Holthof-Pförtner ein Gutachten des Bayreuther Professors Harro Otto präsentiert, das Kohl vom Vorwurf der Untreue entlastet. Eine Geldstrafe ohne mündliche Verhandlung würde Kohl ablehnen, wurde der Anwalt zitiert. Allenfalls hinnehmen will man eine Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldbuße an eine gemeinnützige Einrichtung.

Also könnte es zum offenen Prozeß kommen. Juristen wissen allemal, wie kompliziert strafrechtliche Verfahren wegen Untreue zu führen sind und wie viele Möglichkeiten ein guter Verteidiger in diesen Prozessen hat. Die Verteidigungsstrategien lassen sich um so besser durchsetzen, wenn es dem Angeklagten an jeder Form des Unrechtsbewußtseins oder an Schuldgefühl mangelt. Diesen Eindruck von Helmut Kohl zu haben, dürfte nicht ganz falsch sein. Die Sache könnte in einem mehrjährigen Prozeß enden.

Und wieder einmal zeigt sich, daß Gerichtsverfahren nicht für politische Auseinandersetzungen geeignet sind. Dies gilt genauso für Untersuchungsausschüsse. Schon der Flick-Untersuchungsausschuß konnte nur wenig Licht in das Dunkel des Bonner Korruptionssumpfes der frühen achtziger Jahre bringen. Einige der Hauptbeteiligten, etwa der spätere FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff, wurden zwar wegen Steuerhinterziehung verurteilt, konnten aber dennoch in späteren Koalitionen maßgeblich an Steuerreformen der Bundesregierung mitwirken.

Eine ähnliche Entwicklung wird der Gang der Untersuchungen im neuen Parteispendenausschuß des Bundestages nehmen. Die Vernehmungen des Zeugen Kohl und des früheren Schatzmeisters Walther Leisler Kiep werden außer Erinnerungslücken und Aussageverweigerungen nichts zutage bringen. Der "Blackout", wie der damalige Generalsekratär Heiner Geißler Kohls Vergeßlichkeit in einem rheinland-pfälzischen Parteienfinanzierungsskandal bezeichnete, war eben schon immer beautiful.

Und schließlich nimmt das Interesse an Aufklärung auch auf der anderen Seite ab. Die Sozialdemokraten mußten erst kürzlich eingestehen, daß sie 18,4 Millionen Mark Dividendeneinnahmen aus ihren Medienbeteiligungen nicht im Rechenschaftsbericht der Partei angegeben hatten. Zwar waren sie dazu rechtlich nicht verpflichtet, aber die Geheimniskrämerei der Genossen steht in merkwürdigem Widerspruch zu deren Forderungen nach Transparenz bei der Konkurrenz. Und auch für die SPD und ihre Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier gilt, was der CDU seit langem vorgeworfen wird: Zugegeben wird nur das, was eindeutig nachgewiesen wurde. Somit folgt die Regie der Parteien im Untersuchungsausschuß wieder den bewährten Grundsätzen: Haut ihr unseren Kohl, hauen wir eure Wettig-Danielheimer und auch Gerhard Schröder, denn der müßte doch durch einige Vernehmungen zu Aussagen gebracht werden, warum die SPD ausgerechnet im Wahljahr so viel Dividenden von ihrer Druck- und Verlagsgesellschaft kassierte, während in den Vorjahren wohl nur kleinere Beträge in die Parteikasse flossen. Das ist sehr wohl merkwürdig, denn von Krisen der Presseunternehmen, an denen die SPD beteiligt ist, war in den letzten Jahren nichts bekannt.

Den Bürger würden die Zusammenhänge wohl interessieren. Doch da steht die Politik vor, weil zu viel Aufklärung auch nicht guttut und ein gewisses Einvernehmen zwischen den Parteien notwendig ist, um das Ansehen der Demokratie nicht aufs Spiel zu setzen. Die logische Fortsetzung wäre ein Freispruch für Helmut Kohl in einigen Jahren, falls das Verfahren nicht schon vorher eingestellt wird. Der Volksmund hat dafür ein Sprichwort: Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen