© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/00 12. Mai 2000

 
Zum dritten Mal vor Gericht
Südtirol: Im Mordfall Waldner steht im italienischen Brescia ein neues Urteil an
Jakob Kaufmann

Am 16., 17. und 19. Mai wird über den Mord an dem Südtiroler Landtagsabgeordneten Christian Waldner neu verhandelt. Der Politiker war im Februar 1997 durch fünf Schüsse getötet worden; sein politischer Weggefährte Peter Paul Rainer wurde im darauffolgenden August wegen dieser Tat verurteilt, im Dezember 1998 in Trient jedoch freigesprochen (die JF berichtete).

Der Kassationsgerichtshof in Rom hob aber im vergangenen November den Freispruch auf: Die Urteilsbegründung bezeichneten die Richter als nicht schlüssig und unzusammenhängend. Das Oberlandesgericht in Brescia muß nun in drei Prozeßtagen entscheiden, ob Rainer schuldig oder unschuldig im Sinne der Anklage ist. Die Familie des Ermordeten tritt, trotz aller öffentlichen Zweifel an der Schuld Rainers, immer noch als Nebenkläger auf. Das Gericht ist aber völlig frei, ohne Vorgaben des höchsten Gerichtshofs in Rom, der den Fall an Brescia verwiesen hat. Dabei bleibt abzuwarten, ob es sein Urteil an die Einschätzungen der römischen Richter anlehnt. Diese hielten das anfängliche Geständnis Rainers für sehr wichtig, das er sogar in einem – in der italienischen Rechtsgeschichte einmaligen – Fernsehinterview wiederholte. Der Südtiroler hatte es zu Beginn des ersten Prozesses zurückgezogen. Der Journalist Artur Oberhofer machte sogar siebzehn Punkte aus, in denen das Geständnis objektiven Fakten widersprach. Es war wohl in der Tat konstruiert und falsch. Der junge Politiker hatte praktisch auch ein Alibi, denn er war nur eine knappe Zeit am Mittag des Tages, an dem Waldner erschossen wurde, allein. Zu kurz, um zwischen zwei Terminen zum Tatort, dem Hotel Reichrieglerhof oberhalb Bozens zu fahren, einen Mord zu verüben und dessen augenscheinliche Spuren weitgehend zu verwischen.

Die Fragen, warum Waldner ermordet wurde und warum Rainer ein falsches Geständnis abgelegt hat, beschäftigt seither wohl weniger die italienische Justiz, die imstande war, gleich mehrfache Widersprüche in ihre Urteilsbegründungen einzubauen. Viel mehr interessiert wohl Rainers Freunde, oder besser gesagt, ehemalige Freunde, da sie sich von ihm distanziert haben, bei den Schützen und den Freiheitlichen, warum er gestanden hat. Bereits kurz nach seiner Freilassung sagte Stephan Gutweniger, Bundesmajor des Südtiroler Schützenbundes, der einst eng mit Rainer zusammengearbeitet hatte: "Ich habe das Gefühl, daß der Peter Paul ein Puppenspieler ist, der viele Kasperlen hat tanzen lassen." Er habe nie geglaubt, daß sein politischer Weggefährte den Mord gestanden habe, um eine volkstumspolitische Katastrophe abzuwenden, wie dieser angegeben hatte. Zudem schließe er nicht aus, daß Rainer das Motiv kenne, warum Waldner ermordet worden ist.

Die Frage nach dem Grund des Geständnisses hat der ehemalige Volkstumspolitiker tatsächlich nie schlüssig beantwortet. In einem Brief aus der Haft erklärte er im April 1997: "Es galt also, die politische Schiene, die wohl die einzige interessante für einige italienische Kreise sein konnte, abzubiegen auf eine andere, versuchen, der politischen Schiene entgegenzuwirken... ." Er wollte alles auf die persönliche Ebene ziehen. In einem Interview mit der prominenten italienischen Journalistin Marcella Andreoli für das italienische Nachrichtenmagazin Panorama antwortete Rainer jetzt: "Lieber ein Mörder als ein Verräter." Die Terrorismus- und Geheimdienstexpertin Andreoli sprach ihn zudem, abgesehen von der Gründung und Finanzierung der Freiheitlichen, auch auf ein "gefährliches Dossier" an, von dem Waldner wenige Tage vor seinem Tod gesprochen hatte. Rainer meinte daraufhin nur, der Landtagsabgeordnete habe auch ihm erzählt, er könne "die Region hochgehen lassen".

Bereits wenige Tage nach der Verhaftung Rainers im Februar 1997 hatte der Regionalratsabgeordnete und ehemalige Anti-Mafia-Untersuchungsrichter Carlo Palermo ausgesagt, Waldner habe ihm von einem Dossier berichtet, mit dem eine illegale Finanzierung einer Südtiroler Partei hätte nachgewiesen werden können. Dem Journalisten Artur Oberhofer hatte das spätere Mordopfer eine politische Bombe angekündigt, die die Freiheitlichen auslöschen werde. In einem seiner Artikel spekuliert Oberhofer, der ehemalige Freiheitlichen-Politiker hätte in dem Mordgeständnis "das kleinere Übel" gesehen. Seine Zeitung wußte zudem bereits knapp zwei Wochen nach Rainers Freilassung im Dezember 1998 zu berichten, daß er in der Verhörnacht in den Raum des Polizeipalastes geführt worden sei, in dem Namen und Akten über Top-Agenten angelegt sind.

Die Klärung der Rolle des Justizopfers Rainer kann möglicherweise zur Aufklärung des Mordfalls beitragen. Es sind aber auch andere Spuren gelegt worden. Einmal die Spur in Richtung Geheimdienste: Anfang Juni 1998, wenige Wochen vor Eröffnung des Berufungsverfahrens in Trient, traf bei der italienischen Nachrichtenagentur ANSA eine Morddrohung gegen den vorsitzenden Richter der Verfahrens, Marco Pradi, ein. "Laßt Reiner frei sonst werden Bomben fliegen Ein Tirol lebt und wir walsche jagen Freiheit für Rainer sonst ist President Pradi dran jeder Kollaborator wie das walsche Schwein Waldner wird geschlachtet." Unterzeichnet ist der Text mit "Ein Tirol". Der Stil entspricht den Droh- und Hetzbriefen, die diese ominöse Terrorgruppe in den achtziger Jahren hinterlassen hatte. In dem Buch "Bomben aus zweiter Hand" wird nachgewiesen, daß Geheimagenten die Aktionen dieser Terroristen mit vorbereitet hatten. Da dies aber jeder Südtirolkenner weiß, ist es geboten, ob der Authentizität keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.

Auf die nächste Spur führte wieder ein anonymes Machwerk: Kurz vor Abschluß des Trienter Gerichtsverfahrens im November 1998 wird der Neuen Südtiroler Tageszeitung ein – höchst wahrscheinlich gefälschter – Bericht des italienischen Inlandsgeheimdienstes SISDE zugespielt. In der darin beschriebenen Operation "Erzengel" geht es um Geschäfte des Dienstes mit der Ostmafia: Waffen- und Drogenhandel und Zwangsprostitution. Christian Waldner, so behauptet der Autor des Dossiers, sei darin verwickelt gewesen und schließlich zu einem "unkontrollierbaren Risiko" geworden. So habe er eliminiert werden müssen. Interessant ist, daß der Verfasser über originales Schreibpapier des Geheimdienstes verfügte, das die Behörde jedoch schon jahrelang nicht mehr verwendete. Auch dabei gilt dasselbe wie beim Drohbrief: Urheber unbekannt und Motiv sind unbekannt. Beobachter dürfen zunächst einmal auf das nächste Kapitel dieses Krimis gespannt sein.


 
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