© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/00 12. Mai 2000

 
Konkurrenz für die Wall Street
Börsen: Frankfurter und Londoner Börse fusionieren / Paris ausgebootet / Finanzmarkt will Briten den Euro aufzwingen
Ronald Gläser

Die Fusion der beiden größten Börsen Europas zur neuen Riesenbörse iX (International Exchange) war besser vorbereitet als der geplatzte Zusammenschluß der beiden Finanzinstitute Dresdner und Deutsche Bank. Die Londoner Börse "Stock Exchange" und die Deutsche Börse AG haben nicht nur die Farbe des Logos bestimmt oder die wichtigsten Chefposten verteilt. Der Brite Don Cruickshank und der Deutsche Werner Seifert hatten den Fusionsvertrag bereits ausgehandelt, als sie Anfang letzter Woche die Fusion ihrer Firmen bekanntgaben.

Das neue Unternehmen wird jeweils zur Hälfte Deutschen und Briten gehören. Der Vorstandsvorsitzende wird der Deutsche Seifert, der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Brite Cruickshank. Doch auch wenn es sich um eine "Fusion unter Gleichen" und nicht um eine Übernahme eines Schwächeren durch einen Stärkeren handelt, muß es einen Verlierer geben, und vordergründig entsteht der Eindruck, Frankfurt habe im Poker um die Bedeutung als Finanzmetropole verloren. Hier sollen nur noch die kleinen Wachstumswerte gehandelt werden, während der Kurs der DAX-Titel nunmehr in London ermittelt werden wird. Zusätzlich wurde für die "Neuen Markt"-Aktien eine Kooperation mit der amerikanischen NASDAQ ausgehandelt.

Mit der Fusion ist der erste Schritt zu einer paneuropäischen Börse getan, die den Finanzplätzen Tokio und New York das Wasser reichen kann. Schon jetzt werden 45 Prozent der größten europäischen Unternehmen primär an der Megabörse gehandelt. Insgesamt sind 53 Prozent des europäischen Aktienhandels durch das neue Institut abgedeckt. Sollten sich Mailand und Madrid wie geplant iX anschließen, entsteht so etwas wie ein einheitlicher europäischer Finanzplatz. Rationalisierungsmaßnahmen sollen die Kosten senken, wobei Arbeitsplätze nur in geringem Umfang betroffen sein sollen. Es ist eine folgenschwere Entscheidung der Deutschen Börse AG, sich mit London statt mit Paris zusammenzutun. Die alternative Möglichkeit wäre eine Zusammenarbeit mit Paris, Brüssel und Amsterdam gewesen. Die Börsen dieser drei Städte bilden seit einigen Wochen die gemeinsame Börse Euronext. Und solange die iX-Gründung nicht unter Dach und Fach ist, besteht immer noch die Möglichkeit dieses "kontinentaleuropäische Bündnisses". In jedem Fall dürfte sich in den nächsten Jahren ein paneuropäischer Finanzmarkt bilden, dem sich kein Marktteilnehmer entziehen können wird. Im Bereich der Termingeschäfte, die zukünftig auch ausschließlich in Frankfurt gehandelt werden sollen, kann die neue Börse übrigens schon jetzt den Spitzenplatz in der Welt verbuchen. Der amerikanischen Terminmarkt, der nicht in New York, sondern in Chicago angesiedelt ist, kann mit Frankfurt voraussichtlich nicht mithalten.

Sich über den Verlust des traditionellen Parketthandels in Frankfurt zu beklagen, wäre Unfug. Die schreienden Händler und die Anzeigetafeln mit Bahnhofscharakter sind Relikte aus vergangenen Tagen. Ihr Ende war seit Monaten ausgemachte Sache. Die Zukunft gehört dem Computerhandel, der auch in Frankfurt verbleibt. Im Zeitalter der Vernetzung erübrigt sich die Frage nach dem Standort des Rechners, von dem aus die Aktien gehandelt werden. Die Kritik an dem Projekt iX muß viel grundsätzlicher erfolgen. Die Verschmelzung verkörpert jenseits aller Rationalisierungsmaßnahmen vor allem die zunehmende Vereinheitlichung der Finanzwelt. Nach der Währung wird jetzt auch der Kapitalmarkt Europas internationalisiert. Die "Vaterländer" Europas haben schon jetzt kaum noch eigene Souveränität. Die Haushalte, die Streitkräfte und selbst die Gesetze sind den Richtlinien, Verordnungen und Urteilen europäischer Institutionen unterworfen. Nun wird den Einzelstaaten auch der eigene Finanzmarkt genommen. Damit schwinden auch die Möglichkeiten einzelner Regierungen, Einfluß auf die großen Kapitalsammelstellen zu nehmen.

Das zeigt sich deutlich an der ausgeklügelten Regelung, die hinsichtlich der Wachstumswerte zwischen Frankfurt und London mit der NASDAQ vereinbart worden ist. Die Titel werden zwar in Frankfurt gehandelt, aber der Sitz der gemeinsamen Gesellschaft ist London. Zur Anwendung kommt wiederum deutsches Recht. Bei den großen Standardwerten aber kommt englisches Recht zur Geltung. So picken sich die globalen Spieler die Rosinen aus dem Kuchen und werden künftig rechtliche Einschränkungen wirksamer denn je umgehen. Daß Paris praktisch ausgebootet wurde, deutet ebenfalls in diese Richtung, gelten im traditionell etatistischen Frankreich doch höhere Auflagen für die Finanzmärkte als in den angelsächsischen Laisser-Faire-Staaten.

Dahinter steht die neue, transnationale Elite Europas, die sich aus Wirtschaftsmagnaten, Professoren und Regierungsbeamten speist. Für diese Elite sind nationale Märkte nur ein folkloristisches Relikt vergangener Jahrhunderte. Sie sind niemandem verpflichtet, keinem Vaterland und keiner Gemeinschaft. Patriotismus gehört zu den ziemlich weit unten angesiedelten Tugenden der neuen Finanzelite.

Durch ihr Handeln wollen die beiden Börsen jetzt auch noch Großbritannien ihren Willen aufzwingen: Die Aktien sollen in Euro und Pfund gleichzeitig abgerechnet werden. Wann diese parallele Abrechnung wegen Ineffizienz abgeschafft wird, ist nur eine Frage der Zeit. Spätestens wenn britische Aktien ausschließlich in Euro gehandelt werden, wird der Druck auf Tony Blair wachsen, den währungspolitischen Alleingang seines Landes zu beenden.

Nun war Frankfurt bisher schon immer der unangefochtene "Marktführer" unter den deutschen Börsen. Und dennoch haben die regionalen deutschen Börsen wie Berlin oder Stuttgart mit sinnvollen Nischenstrategien ihre Position trotz der niedrigeren Umsätze behaupten können. Mit einer solchen Strategie werden sich die kleineren europäischen Börsenplätze, allen voran Zürich, gegen die neue Megabörse wehren. Somit bleibt ein Stück Vielfalt in der europäischen Börsenszene gewahrt.

Es gibt auch einen Trost. Die übermächtige New Yorker Mauerstraße erhält durch London nun ein echtes Gegengewicht. Die europäische Einigung bringt damit ein weiteres Instrument im wachsenden Antagonismus zwischen Abendland und Neuer Welt hervor.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen