© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/00 19. Mai 2000

 
Ausland als Alibi
von Ekkehard Schultz

Wodurch könnte Deutschlands Ruf im Ausland leiden? Durch den Ausschluß der Bürger von wichtigen politischen und sozialen Entscheidungen, wie der Abschaffung der deutschen Währung oder der schnellen Osterweiterung der EU um jeden Preis etwa? Durch die zahlreichen Verstrickungen der größten Parteien in Selbstbedienung und Korruption, wie sie die aktuellen Äffären aufzeigen? Durch die trotzköpfige Verteidigung fragwürdiger EU-Sanktionen gegen sein kleines Nachbarland? Nein, die Ausübung des Rechtes auf Versammlungsfreiheit im Zentrum der deutschen Hauptstadt zählt für Berlins Innensenator Eckart Werthebach zu den größten Gefahren, da sie häufig "verheerende" Reaktionen im Ausland hervorrufe.

Abgesehen davon, daß "das Ausland" als Souverän im Grundgesetz nicht erwähnt wird, zählt das Demonstrationsrecht zu den besten Seismographen für den Aggregatzustand, in dem sich eine Gesellschaft befindet. Es ist die erste Pflicht von verantwortlichen Politikern, selbstkritisch nach den Ursachen von öffentlichen Protesten zu forschen und nicht mit der Holzhammermethode allein wegen möglicher unerwünschter Nebenwirkungen zum Generalangriff auf traditionsreiche Grundrechte zu blasen. Zumal erkennt das Versammlungsrecht bereits heute gewichtige Verbotsgründe an: die unmittelbare Bedrohung von öffentlicher Ordnung und Sicherheit und die Erwartung von Straftaten aus den Reihen der Demonstranten. Für eine weitere Beschneidung besteht keinerlei Veranlassung. Finger weg, Herr Werthebach!


 
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