© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/00 19. Mai 2000

 
Naumanns Warnung
Bundeswehr: Reformvorschläge bedrohen die Sicherheit
Götz Kubitscheck

An der Diskussion um die Reformvorschläge der Wehrstrukturkommission zeigt sich, daß die Befruchtungsvorgänge zwischen Experten und Politikern nicht immer glücken. Ein paar Generäle a. D., ein paar politische Leitfossilien und ein paar personifizierte moralische Instanzen legen am 23. Mai unter der Führung Friedrich von Weizsäckers das vor, was die Zukunft der Bundeswehr sichern soll. Vorgelegt wird etwas Halbseidenes, darüber besteht nach Bekanntwerden der Eckdaten kein Zweifel mehr. In der Bundeswehr kursierte der Witz, daß im Falle eines Ausfalls Inge Meysel in die Kommission nachrücken könnte: Auch sie sei über 70.

Es frohlocken die Grünen. Sie geben sich seit Jahren in den Fragen des Wehr- und Zivildienstes liberaler als die Liberalen: Zwangsdienste solcher Art gehörten abgeschafft. Die Grünen sehen deshalb in den Vorschlägen der Weizsäckerrunde den Todesstoß für die Wehrpflicht, keineswegs ihre letztmögliche Bewahrung. Sie fordern nun eine "Zivildienstkommission", die den drohenden Engpaß im sozialen Sektor bewerten und abfedern soll: Denn einen Zivildienst als "Ausfallbürgen" für Sozialleistungen soll es nach den Worten des jugendpolitischen Grünen-Sprechers Simmert nicht mehr lange geben.

Zufällig deckt sich in der Forderung nach radikalen Schnitten das grüne Programm mit den Aussagen eines Experten, obwohl es zur direkten Befruchtung sicher nicht kam: der Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr Klaus Naumann stellte in der Welt am Sonntag als Reaktion auf die ersten Diskussionen seine Forderungen an eine echte Reform auf. Sie lassen sich auf einen Nenner bringen: Schmerzhafte, aber vollständige Schnitte seien besser als das endlose Verstümmeln traditioneller Wehrstrukturen. Wenn die Wehrpflicht erhalten werden soll, dann sinnvoll und umfassend. Begründbar ist sie laut Naumann noch immer: Aufwuchsfähigkeit der Streitkräfte ist sein Argument. Ein zweites: Im geburtenschwachen Deutschland habe die Bundeswehr im Wettbewerb um guten Nachwuchs keine Chance gegen die Wirtschaft. Deshalb müsse die Wehrpflicht als Rekrutierungstopf ernst genommen werden. Sollte die Politik jedoch andere Prioritäten setzen, dann fällt die Wehrpflicht besser heute als morgen.

An diesem Punkt wird klar, daß Rudolf Scharping sich selbst eine Stolperfalle gebastelt hat. Er gilt als hartnäckiger Wehrpflichtsbefürworter. Schon deshalb kann er dem Kommissionsvorschlag einer Reduzierung auf 30.000 nicht zustimmen: Er weiß, daß diese Zahl Augenwischerei ist. Insgesamt hat Scharping seine politische Zukunft an das Gelingen einer Bundeswehrreform geknüpft. Natürlich wird jede Stümperei zuletzt als "gelungen" verkauft werden; aber vielleicht sind dann neben Scharping auch alle anderen schuld. Klaus Naumann rückt nämlich die Finanzierungsfrage in den Mittelpunkt: Unter 50 Milliarden ist keine gesicherte Zukunft drin, nicht für Deutschland und nicht für die Bundeswehr. Die jetzt geplante Senkung des Haushalts auf 43 Milliarden Mark mache die Aufgabe für Scharping unlösbar.

Ebenfalls von Naumann kommt ein Analysepunkt, der es nicht an Deutlichkeit fehlen läßt: Frieden zu erhalten wird in den nächsten Jahren schwerer sein als im Kalten Krieg. Darauf müsse man vorbereitet sein. Ob er dabei an den ethnischen Krieg in den Großstädten und an eine Blickwendung der Bundeswehr ins Innere denkt?


 
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