© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/00 19. Mai 2000

 
Mit zwei blauen Augen davongekommen
Nordrhein-Westfalen: Die Landtagswahl hatte viele Verlierer und nur einen Sieger
Delf Christian Korschen

Wir sind wieder wer! So oder so ähnlich mag manch ein Liberaler nach den ersten Hochrechnungen in Nordrhein-Westfalen, und nicht nur dort, am Sonntagabend gedacht und sich ins Fäustchen gelacht haben. Wer von den Auguren der Wahlforschungsinstitute orakelte tatsächlich die erreichten 9,8 Prozent für die Liberalen? Mit Bravour konnte daher Jürgen W. Möllemann in seine überall verteilten 8-Prozent-Brezeln beißen, jedoch nicht aus Frust sondern mit echter Freude und mit unverfälschtem Genuß.

Der Wahlsieger hieß auf jeden Fall Möllemann respektive NRW-FDP. Doch könnte sich dieser Sieg allzu schnell als ein Pyrrhus-Sieg erweisen, denn die Karten wurden zwar neu gemischt, die Verteilung blieb am Ende doch beim alten. So nützt dem fuchsigen Polit-Entertainer Jürgen W. Möllemann kein Bitten und Betteln, Wolfgang Clement wird sich nicht erweichen lassen, und Möllemann wirkt schon fast lächerlich, wenn er sich dem Sozialdemokraten immer wieder anbiedert, weiß er doch nur zu gut, daß der alte und neue nordrhein-westfälische Ministerpräsident sich keinen Schritt auf die FDP zubewegen wird.

Warum sollte er auch. Zwar hat die SPD fast eine halbe Million Wähler eingebüßt und die Grünen über 300.000, doch ändert dies nichts an der Tatsache, daß die rot-grüne Koalition weiterhin an der Regierung bleiben wird. Die 6,1 Prozent Vertrauensverlust werden zu fast gleichen Teilen – die Sozialdemokraten verloren 3,2 Prozent, die Grünen mußten 2,9 Prozent abgeben – auf die rot-grünen Genossen umgelegt, hier hackt die eine Krähe der anderen kein Auge aus. Sicherlich müssen Wunden geleckt werden, doch sind diese nicht so gravierend, als daß nicht wie bisher weiter gemacht werden könnte. Mit sieben Stimmen Mehrheit dürfte es für das sozialdemokratisch-grüne Bündnis keine ernsthaften Probleme geben, Nordrhein-Westfalen auch künftig auf Linie zu halten.

Die FDP wurde als Sozius stets gebraucht, nie geliebt

Natürlich gäbe es prinzipiell die Möglichkeit einer rot-gelben Kooperation. Es gibt sogar eine Tradition der Zusammenarbeit beider Parteien auf Bundes- wie auch auf Landesebene. Bereits 1957 war in Düsseldorf die FDP eine Koalition mit der SPD eingegangen, und einer dieser "Jungtürken", so nannte man die Pioniere der ersten sozialliberalen Symbiose, wurde dann sogar Bundespräsident, Walter Scheel. Doch war es damals schon so, wie es sich im Verlauf der weiteren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als Tatsache herausstellte; die FDP wurde als Sozius der SPD stets gebraucht, nie geliebt. Sozialliberale Koalitionen waren durchweg Vernunftehen, keine Liebesheiraten und schon gar keine stürmischen Affären. Zwar kann auch nicht behauptet werden, die SPD gehe gerne Beziehungen mit wechselnden Partnern ein. Es ist eher so, daß die SPD überhaupt nicht gern in irgendeine Beziehungskiste gerät. Sie präferiert eben das Single-Dasein, und dies steht einer Massenintegrationspartei auch irgendwie an. Doch seit der heutige Außenminister Joseph Fischer Mitte der 1980er Jahre mit seinen grünen Mitstreitern als Juniorpartner von der hessischen SPD adoptiert wurde, finden sich verstärkt amouröse Tendenzen zwischen den roten und grünen Parteigenossen. Mögliche Beziehungen gehen daher ansatzweise auch immer unter die Haut und bleiben nicht verkopft.

Dies sieht auch der Alt-Bundespräsident Walter Scheel so, denn er rät Möllemann von einer Koalition mit den Genossen um jeden Preis ab. Die FDP solle nur "unter ordentlichen Bedingungen" eine Koalition mit der SPD eingehen. Doch auf diese Bedingungen wird die FDP, zumindest in NRW, lange warten können.

Keinen großen politischen Spürsinn beweisen die Grünen, wenn sie davon ausgehen, daß das Angebot der Sozialdemokraten an sie keine "Scheinofferte" darstellt. Denn schon kurz nach der Wahl war klar, daß Unruhe bei den Grünen und ihren Seniorpartnern völlig überflüssig war. Der Kanzler kokettierte mit der Aussage, es gebe keinen Grund, auf die FDP zuzugehen, aber es sei auch immer gut "wenn die SPD über verschiedene Optionen verfügt". Die Bundesregierung wird sich hüten, irgendeine Art der Koalitionsfragen betreffenden Diskussion in Gang zu setzten, erst recht, wenn es sich dabei um das wichtigste sozialdemokratische Machtzentrum handelt, Nordrhein-Westfalen. Schröder bleibt die FDP betreffend skeptisch und spricht, nicht ganz zu Unrecht, davon, daß sich die FDP noch immer in der Gefangenschaft der CDU befinde, auch wenn es sich dabei um keine "babylonische" mehr handele. Die Liberalen hingegen mögen dies in einer ersten Euphorie etwas anders sehen und sich nicht mehr als Appendix der CDU fühlen, doch handelt es sich bei den guten Ergebnissen in NRW mehr um eine temporäre Verlegenheitslösung mangels vernünftiger Alternativen als um eine echte Renaissance der neoliberalen Bekenntnisse und Positionen.

Kleinere Parteien blieben unter "ferner liefen"

Im übrigen hat der Wähler mit trampelnden Füßen abgestimmt, denn die historisch schlechte Wahlbeteiligung von 56 Prozent schreit eine zunehmende Politikverachtung geradezu heraus. Man nähert sich eben auch hier langsam aber sicher "amerikanischen" Verhältnissen an. Doch gerade dadurch haben die NRW-Liberalen mit ihrem Marketing-Wahlkampf einen nicht zu unterschätzenden Vorteil.

Als grundsätzlich positiv werten die Republikaner für sich den Ausgang der Landtagswahl in NRW. Die Spitzenkandidatin und stellvertretende Bundesvorsitzende Uschi Winkelsett erklärte, daß sich eine "Trendwende für die Republikaner" abzeichne und das Wählerpotential habe ausgebaut werden können: Trotz der hohen Hürden im Wahlrecht für kleine Parteien hat die Rechtspartei – sie trat nicht in allen Wahlkreisen an – fast 18.000 Wähler hinzugewonnen und erreichte Platz fünf. Knapp dahinter landete die PDS, und obwohl diese viel Geld und Material aufwendete und fast in allen Wahlkreisen antrat, machten nicht mal 80.000 Wähler ihr Kreuz bei der Gysi-Truppe.

Alle anderen Parteien erreichten weniger als ein Prozent und bekommen somit keinerlei Wahlkampfkostenerstattung: Die NPD konnte in den wenigen Wahlkreisen, wo sie angetreten ist, insgesamt 2.351 Stimmen für sich gewinnen. Auch die ÖDP konnte die Tücken des NRW-Wahlrechts nicht meistern und nur noch knapp 2.000 Stimmen verbuchen. 1995 waren es elfmal so viel. Auch die Tierschutzpartei landete wie die Naturgesetzpartei mit etwa 3.000 Kreuzen unter "ferner lieven".


 
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