© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/00 19. Mai 2000

 
Deutsche Rüstungsindustrie überollt
Spanien: Ministerpräsident Aznar gefährdet die alte Freundschaft und dient jetzt US-Interessen
Michael Wiesberg

Unser Wohlstand als Nation im 21. Jahrhundert hängt auch von unserer Fähigkeit ab, auf den internationalen Märkten konkurrieren und gewinnen zu können", steht in der im Mai 1997 vom National Security Committee des Weißen Hauses veröffentlichten "US-Sicherheitsstrategie für das nächste Jahrhundert" zu lesen. Den Kampf um die Hegemonie über die internationalen Märkte deutet einer der einflußreichsten amerikanischen Ökonomen, Lester Thurow vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), als "Schlacht". Bereits im Untertitel seines 1993 erschienenen Buches "Kopf an Kopf" ist die Rede von der "kommenden ökonomischen Schlacht zwischen Japan, Europa und den USA".

Von dieser "Schlacht" ist auch und gerade ein Wirtschaftszweig nicht ausgenommen, auf den die martialische Sprache Thurows am ehesten paßt: die Rüstungsindustrie . Hier ist dem amerikanischen Rüstungsgiganten "General Dynamics" unter tätiger Mithilfe des spanischen Ministerpräsidenten Aznar so etwas wie eine ökonomische "Landung in der Normandie" gelungen. Auf Betreiben Aznars ist nämlich die marode spanische Rüstungsfirma Santa Bárbara nicht dem deutschen Interessenten Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall verkauft worden, sondern dem US-Konzern General Dynamics (GD).

Arthur Veitch, Vizepräsident von GD, erklärte das Engagement in einer Pressemitteilung vom 14. April: "Aus der Sicht von GD bietet der Kauf der spanischen Waffenfabrik die Möglichkeit zur Kooperation auf dem europäischen, südamerikanischen und nordafrikanischen Kampfwagen- und Kriegsgeräte-Markt. Der Kauf eröffnet uns die Möglichkeit, unsere Produkte für einen attraktiven Kaufpreis zu ergänzen, zum Beispiel im Hinblick auf das spanische Kampfpanzerprogramm."

Hier liegt aus deutscher Sicht der springende Punkt, sind doch die oben genannten deutschen Firmen Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall unmittelbar in dieses Programm involviert. Denn Santa Bárbara (SB) baut in Lizenz Leopard-2-Panzer. Die für diesen Bau notwendige und aus Deutschland gelieferte Hochtechnologie gerät durch den Kauf von GD in die Hände der Amerikaner. Die FAZ berichtete am 12. Mai, daß deshalb deutsche Politiker, Diplomaten und Firmenvertreter den Verkauf von SB als "Verrat" ansähen. Zumindest an der anvisierten europäischen Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie habe Aznar "Verrat" begangen.

Pikant an dem Verhalten Aznars, das in der Diplomatensprache einem "unfreundlichen Akt" gegenüber Deutschland gleichkommt, ist weiter die Tatsache, daß bei den Verhandlungen über den Bau einer spanischen Version des Leopard-2 den spanischen Vertretern von deutscher Seite die Konzession gemacht wurde, daß ein großer Teil der Komponenten von dem staatlichen spanischen Unternehmen SB hergestellt werden solle. Darin eingeschlossen ist ein entsprechender deutscher Technologie-Transfer. Jetzt besteht die konkrete Gefahr, daß der Konzern GD, der das Konkurrenzmodell zum Leopard-2, den Kampfpanzer Abrams M-1 herstellt, die deutsche Technologie für seine Zwecke nutzen könnte. Die Spanier bestreiten diese Möglichkeit zwar, Glauben schenkt ihnen auf deutscher Seite aber niemand.

Die "ökonomische Landung" von GD in Spanien wird nur als Vorspiel für wesentlich weitergehende Pläne der Amerikaner bewertet. Deutsche Rüstungskreise, so die FAZ, befürchteten, daß GD über kurz oder lang auch 49 Prozent der Aktienanteile an Krauss-Maffei Wegmann erwerben könnte. In diesem Zusammenhang wird folgende Rechnung aufgemacht: Aufgrund der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone könnte die 49prozentige Beteiligung von Mannesmann an Krauss-Maffei zunächst an Siemens-Bosch verkauft werden. Da dieser Konzern aber kein Interesse an Rüstungsproduktion haben dürfte, wird es als wahrscheinlich angesehen, daß Siemens-Bosch sich dieses Paketes wieder entledigen werde. GD wird bereits als aussichtsreichster und finanzstärkster Käufer gehandelt. Daß GD dann versuchen wird, den lästigsten Konkurrenten ihres Kampfpanzers Abrams M-1, den Leopard-2, am Markt nachhaltig zu schwächen, wenn nicht zu verdrängen, liegt nahe.

Krauss-Maffei Wegmann fürchtet daher wohl zu Recht den irreversiblen "Verlust an Know-how" bzw. "Arbeitsplätzen". Europäische Militärkreise gehen laut FAZ noch weiter: das Ziel Washingtons sei die Zerstörung der europäischen Panzerindustrie, um die Europäer zum Kauf amerikanischer Panzer zu nötigen. Unerfreuliche Konkurrenz, wie sie für die USA zum Beispiel bei dem Panzergeschäft mit der Türkei offensichtlich geworden ist, hätte die US-Rüstungsindustrie dann nicht mehr zu fürchten.

Welche Gründe Aznar, dessen Wirken allein wohl der Verkauf von SB an General Dynamics zugeschrieben werden muß, für seine Entscheidung auch immer gehabt hat, ist aus deutscher Sicht nachrangig. Festzustellen bleibt, daß Aznar in den letzten Jahren keine Gelegenheit ausgelassen hat, sich auf deutsche Kosten zu profilieren. Zu erinnern ist an die kaltschnäuzige Art und Weise, wie Aznar auf dem Berliner EU-Gipfel die Weiterführung des Kohäsionsfonds, von dem Spanien am meisten profitiert, durchgedrückt hat. Deutschland finanziert damit auch weiter die ökonomische Regeneration Spaniens. Im Jahr zuvor forderte der spanische Finanz- und Wirtschaftsminister Rato, der neben Aznar als Hauptverantwortlicher für den Verkauf von SB angesehen wird, daß Deutschland zwischen acht und sieben Milliarden Mark mehr an Brüssel überweist.

Nicht vergessen werden sollten auch die Ausfälle Aznars gegen die neue österreichische Regierung. Diese Winkelzüge Aznars auf deutsche Kosten sind um so brüskierender, weil es Deutschland war, das sich 1986 am massivsten für den Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft eingesetzt hat. Aznars perfides Spiel zeigt ganz deutlich: eine "europäische Föderation", wie sie sich der deutsche Außenminister Fischer erträumt, wird es schon deshalb nicht geben, weil außer Deutschland jeder EU-Staat weiter sein nationales Süppchen kocht – bis hin zur offenen Schädigung gesamteuropäischer Anliegen, wie es der Fall der spanischen Waffenfabrik zeigt. Deswegen wird diese EU auch niemals zu einer wirklichen Bedrohung für die globalen US-Interessen werden. Washington ist es ein leichtes, die "europäischen Partner" immer wieder gegeneinander auszuspielen. Die so entstehende Lähmung bei der Verfolgung gesamteuropäischer Interessen sichert Washington auf unabsehbare Zeit eine unantastbare Vormachtstellung.

Aznars Entscheidung bestätigt einmal mehr die Feststellung ehemaligen US-Sicherheitsberaters Brzezinski, daß es schlicht und einfach eine "Tatsache" sei, "daß Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa" weitgehend ein "amerikanisches Protektorat" blieben, "dessen alliierte Staaten an Tributpflichtige von einst erinnern".


 
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