© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/00 19. Mai 2000

 
Die Rückkehr der Götter
Ausstellung: Fotos von Leni Riefenstahl in Berlin
Doris Neujahr

Vor gut zwei Jahren hat in Potsdam die erste große Werkschau über Leni Riefenstahl eine Historisierung der Regisseurin vorgenommen und Persönlichkeit und Schaffen konsequent in den Zeitkontext gestellt. Daraus ergab sich klar, daß sie internationale Tendenzen ihrer Zeit aus Gesellschaft, Kunst und Technik aufgenommen und zu spektakulären Bildern geformt hatte: Leni Riefenstal als eine expressive Künstlerin ihrer Zeit! Ihr Negativ-Mythos wurde damit greifbar gemacht, vermenschlicht, und die Verdammte nach über fünfzig Jahren aus dem braunen Höllenschlund wieder hervorgeholt.

Jetzt veranstaltet die Berliner Galerie "Camera Work" eine Verkaufsausstellung mit ihren Olympia-Fotografien von 1936. Für je 2.500 Mark sind die 50 signierten Fotos aus den Filmen "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit" erhältlich. Sie werden kommentarlos präsentiert, sie sollen ganz für sich selber stehen, ohne Verweis auf ihren politischen Kontext und die Vorwürfe, die sie nachträglich provozierten, allein als Ausdruck reiner Harmonie und gemäß der Intention, die Riefenstahl für sich selber beanspruchte: "Selten war so viel Schönheit, Kraft und Schönheit vereinigt, wie in den sechzehn Tagen bei den Olympischen Spielen in Berlin."

Aber kann eine solche Fotoausstellung gutgehen? Immerhin sind in Riefenstahls Filmen Bewegung und Dynamik wichtige Strukturelemente: Zwar ist jeder Augenblick für sich genommen schön, er wird zelebriert, gedehnt, und ist doch wiederum nur die Vorstufe zum nächsten, womöglich noch schöneren Moment: Diese Wechselwirkung aus Erfüllung und Erwartung fällt weg, wenn man den Bewegungsfluß zu einem einzigen Bild gerinnen läßt. Muß da nicht das antike Pathos der Sequenzen zu starrer Theatralik gefrieren? Über diese und andere Fragen haben sich kritische Zeitgenossen in ihren Rezensionen verbreitet, um dann doch, überwältigt von der Macht ihrer Bilder, endgültig den Degen vor der heute 97jährigen Leni Riefenstahl zu senken. Schneller als gedacht findet ihre leibhaftige Himmelfahrt als geniale Künstlerin statt.

Ihre Fotografien heißen "Der Speerwerfer", "Der Diskuswerfer", "Der Sieger", "Der Fackelläufer": Archetypen im Kampf, in der Konzentrationsphase, in der Bewährung, doch längst aller irdischen Mühsal entrückt, allein unter dem Himmel als einer heroischen Landschaft, entindividualisiert und doch ganz bei sich selbst. Ihr skulpturaler Charakter wird besonders augenfällig in der Plastik des Diskuswerfers von Myron, aus dem sich zu Beginn von "Fest der Völker" der deutsche Zehnkämpfer Erwin Huber herausschält: Die Rückkehr der Götter in der Gegenwart! Schwerelos segelt der Turmspringer vom Zehn-Meter-Brett, ein Engel oder Supermann und vor allem: Der erlöste Mensch, der sein "Verweile doch, du bist so schön", ausspricht!

Natürlich hat Riefenstahl eine spanische Wand der Schönheit und Harmonie vor die Greuel des Regimes gestellt, hat es gestützt, ihm überhaupt erst zu seinem höchsten Ausdruck verholfen. Goebbels konnte mit seiner Inszenierung des "Tages von Potsdam" dem deutschen Spießer suggerieren, daß Hitler die marode Herrlichkeit des Kaiserreichs wiederherstellen wolle, und sonst nichts.

Leni Riefenstahl aber hat mit ihrer Inszenierungskunst die moderne Welt beeindruckt: "Und dabei Form nie als Ermüdung, Verdünnung, Leere im deutsch-bürgerlichen Sinne, sondern als die enorme menschliche Macht, die Macht schlechthin, den Sieg über den nackten Tatbestand und zivilisatorische Sachverhalte, (...), der Ausgleich und die Sammlung der Fragmente." Diese gewiß unheimlichen Sätze, die Gottfried Benn allerdings schon 1934 niederschrieb, könnten direkt auf Riefenstahls Werk gemünzt sein.

Das Foto des afro-amerikanischen Sprint-Olympia-Siegers Jesse Owen stellt eine seltene, fast intime Nähe zwischen Kamera und Objekt her. Der mit der Schönheit und Geschmeidigkeit eines schwarzen Panthers ausgestattete Sportler gilt bis heute als die glanzvollste Persönlichkeit der 1936er Olympiade. Der Berliner Volksmund erfaßte damals instinktiv die Bedeutung dieser Aufnahme: "Dem Führer zeigt die Leni dann / was deutsche Filmkunst alles kann / Da sah er dann im Negativ / wie positiv der Neger lief." Die schöne Welt der Leni Riefenstahl konnte, bei aller Bewunderung, die sie für Hitler empfand, denn doch nicht im real existierenden Nationalsozialismus aufgehen.

Man kann einwenden, daß ihre Bilder keine der Erwartungen erfüllen, die an die moderne Sportfotografie gestellt werden. Aber sind die denn ein Maßstab? Steffie Graf ist bestimmt eine größere, bedeutendere Sportlerin als viele der Abgebildeten, und gewiß gibt es technisch hervorragende Fotos, die die Qual zeigen, die Grafs Ruhm voranging. Aber ob eine einzige Fotografie diese Sportlerin transzendieren, ihre Erscheinung zum Archetypen erhöhen wird, wenn die Erinnerung an ihre Person verblaßt ist, das muß sich erst noch herausstellen. Nein, den Vergleich mit der modernen Sportfotografie muß Leni Riefenstahl gewiß nicht fürchten.

Da mögen kluge Filmkritiker sich ruhig weiter an ihrem Faszinosum abarbeiten, es zu dekonstruieren und zu widerlegen versuchen, da mögen sie weiter darlegen, Riefenstahls Kunst sei noch "faschistischer als der Faschismus", weil sie dessen Endziel als vollzogen antizipiert hat. Das mag ja alles zutreffen, doch was hilft’s? "Faschistischer als der Faschismus" sind vielleicht auch die geheimsten menschlichen Träume. Auch deshalb ist Leni Riefenstahl die bildmächtigste Filmregisseurin, die die Welt je gesehen hat!

 

Leni Riefenstahl Ausstellung bis 24. Juni in der Galerie Camera Work, Kantstr. 149, Berlin-Charlottenburg. Der Katalog kostet 98 Mark.


 
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