© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/00 19. Mai 2000

 
Traum vom Großraum
Manfred Ritter und Klaus Zeitler suchen das Heil in der Regionalisierung
Klaus Hornung

Skepsis, Kritik, ja Widerstand gegen die sogenannte Globalisierung und ihren "Turbokapitalismus" sind im Wachsen. In Seattle kam es im vergangenen Herbst zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen die Konferenz des Weltwährungsfonds. Im März 1999 verabschiedete der US-Kongreß mit fast Zwei-Drittel-Mehrheit ein Gesetz zur Beschränkung der Stahlimporte, im Herzen der Vormacht des Neoliberalismus und des Freihandels eine kleine Sensation, ein protektionistischer Kontrapunkt gegen die Globalisierungsprofiteure.

Ähnlich verläuft die Diskussion in Wissenschaft und Publizistik. Sie vereint selbstkritische Kapitalisten wie George Soros mit Liberalen wie Ralf Dahrendorf, John Gray und Roland Baader, konservative US-Amerikaner wie Pat Buchanan und Samuel Huntington mit Sozialdemokraten wie Klaus von Dohnanyi oder dezidiert Linken wie Elmar Altvater, der 1997 zusammen mit Birgit Mahnkopf mit "Grenzen der Globalisierung" eine tiefdringende Analyse der katastrophalen Folgen der Globalisierung vorlegte.

Das Buch von Manfred Ritter und Klaus Zeitler fügt sich also in eine breite internationale Debatte ein. Es scheut klare Positionen nicht: "Die Hauptakteure der Globalisierung sind die finanziell und wirtschaftlich mächtigsten Männer der westlichen Industriestaaten – jene global players, die hemmungslos und ohne Rücksicht auf die Arbeitnehmer in den Industriestaaten ihre Chance auf Gewinnmaximierung wahrnehmen" – durch Produktionsverlagerung in die Billiglohnländer. Die Autoren betrachten das Problem keineswegs nur unter ökonomischen Aspekten, sondern ordnen es in die epochalen Umbrüche ein: "Die Globalisierung der Wirtschaft bedroht nicht nur den Massenwohlstand, sondern auch den Weiterbestand der Nationalstaaten. Sie bedroht damit auch unmittelbar die Existenz unserer Demokratien und die sozialstaatlichen Verhältnisse, da die gewählten Politiker gegenüber den internationalen Konzernen nichts mehr zu sagen haben."

Die Globalisierung muß nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Bevölkerungsexplosion in der südlichen Hemisphäre gesehen werden. Dort changiert sie zwischen scheinbarer "Entwicklungshilfe" und neokolonialer Ausbeutung. Das wirkt sich kurzfristig zugunsten der nordatlantischen Wohlstandszone aus, leitet längerfristig aber deren Abstieg ein. China etwa, mit einem jährlichen Wachstum von zehn Prozent, könnte in der nächsten Generation zum wichtigsten Industriestandort der Erde werden.

Die global players und die von ihren Lobbyisten abhängigen Regierungen "haben nach und nach die Barrieren des grenzüberschreitenden Verkehrs von Kapital, Arbeit und Wissen beseitigt". Das reicht von der Freigabe des Devisenhandels über die sukzessive Ausweitung des Welthandelsabkommens GATT bis zum europäischen Immigrationismus.

Als Weg aus der "Globalisierungsfalle" empfehlen die Autoren eine "gesamteuropäische Wirtschaftsregion" mit dem Kern der heutigen EU, zu der Osteuropa und Rußland mit seiner breiten Rohstoffbasis zählen. Diese Großregion soll ihre Interessen durch eine flexible Schutzzollpolitik wahrnehmen, die zur Rückverlagerung der Industrieproduktion und so zur Sicherung von Massenwohlstand und Sozialstaatlichkeit in der "Alten Welt" führen könnte. Angesichts heutiger internationaler Machtverhältnisse muß dieses euro-russische Autarkiemodell jedoch auf erbitterten Widerstand der hegemonialen USA stoßen. Insoweit mutet diese Alternative utopisch an. Und doch machen die Autoren Ansätze einer Gegenbewegung aus. So erwarten sie ein Überschwappen der großen Schutzzolldebatte von den USA auf den alten Kontinent und ein Wiedererwachen europäischen Selbstbehauptungswillens. Mögen sie recht haben – Geschichte ist ein offener Prozeß.

 

Manfred Ritter/Klaus Zeitler: Armut durch Globalisierung – Wohlstand durch Regionalisierung,Leopold Stocker Verlag, Graz 2000, 143 Seiten, 29,90 Mark


 
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