© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/00 19. Mai 2000

 
Marktgerechte Hochschulen
Die britischen Universitäten nach der Thatcher-Ära
Ulrike Imhof

Es vergeht kaum eine Diskussion über den Reformbedarf des bundesdeutschen Hochschulwesens, die nicht vergleichend nach Westen schaut. Zumeist entsteht dann der Eindruck, dort, vor allem an britischen und US-amerikanischen Universitäten, studiere, lehre und forsche man effizient, praxisnah, arbeitsmarkt-kompatibel und trotzdem permanent am Rande der Nobelpreisprämierung. Nicht zuletzt deshalb meint der Präsident der Münchener Universität wohl, jetzt mit der Umbenennung der Fakultäten seiner altehrwürdigen alma mater in "Departments" einen ersten Schritt getan zu haben, um angelsächsisches "Weltniveau" zu erreichen.

Wie es um die vermeintlich vorbildlichen Gelehrtenrepubliken der westlichen Wertegemeinschaft tatsächlich bestellt ist, ist indes selten zu erfahren, wo deren Vorbild am lautesten gepriesen wird. Die Lektüre von Publikationen, die nicht in jedem Wartezimmer ausliegen, könnte dagegen eher dämpfend auf den deutschen Nachahmungseifer wirken.

So ist im Aprilheft von For- schung&Lehre, dem Organ des Deutschen Hochschuverbandes, ein für die in der aktuellen Reformdiskussion tonangebenden Anglophilen recht ernüchternder Report von Sebastian Fohrbeck (Deutscher Akademischer Austauschdienst, Büro London) zu lesen, der die britische Wissenschaftspolitik analysiert.

Auf den ersten Blick scheint Fohrbeck die Erwartungen jener zu bestätigen, die Humboldts Erbe gern anglisieren würden. Ist doch die Attraktivität der britischen Hochschulen so groß, daß er sie als "Exportschlager" bezeichnen kann. 1999 waren 215.000 ausländische Studenten (darunter 12.000 Deutsche) dort eingeschrieben . Durch Studiengebühren von 600 Millionen Pfund und Ausgaben von weiteren 750 Millionen für ihren Lebensunterhalt tragen die fremden studiosi also jährlich vier Milliarden Mark zum britischen Sozialprodukt bei. Diese Anziehungskraft, so Fohrbeck, auf eine Erhebung des Spiegel verweisend, verdanke sich radikaler, unter Margaret Thatcher eingeleiteter Reformen, die Universitätsbudgets mit einer Art REFA-Kontrolle eindampfte und damit einen "brutalen, aber am Ende erfolgreichen Selektionsprozeß" in Gang setzte.

Tony Blairs Labour-Regierung behielt diesen Kurs bei und zeigte sich auf dem Hochschulsektor wesentlich marktgerechter als die bis Herbst 1998 amtierende, CDU-geführte Bundesregierung. Eckpunkte dieser seit 1997 noch forcierten Marktanpassung sind die Einführung nicht erstattungsfähiger, sozial gestaffelter Studiengebühren (jährlich rund 3.000 Mark), die Ersetzung von Stipendien durch Darlehen, ein straffes Rationalisierungsregime, das die staatlichen Ausgaben pro Student minimieren soll, sowie der verstärkte Druck auf die Hochschulen, sich selbst finanzieren zu müssen.

Inzwischen zeigen sich aber die Schattenseiten dieser "schlanken" Strukturen. So dienen die Studiengebühren dazu, die staatliche Finanzierung zu reduzieren, was die Ausstattung der Universitäten insgesamt verschlechtert. An schottischen Hochschulen werden die Gebühren darum zum nächsten Wintersemester wieder abgeschafft. Eine weitere Folge staatlicher Finanzkürzung ist, daß die Hochschulen beginnen, ihre Defizite durch Personalentlassungen und Immobilienverkauf auszugleichen – "das britische Hochschulwesen lebt aus der Substanz".

Die Umstellung der Studienförderung auf Volldarlehen verfestigte, ausgerechnet unter einer Labour-Regierung, das Bildungsprivileg der Besserverdienenden. Die Zahl der Studenten des zweiten Bildungswegs ist zurückgegangen, der Studentenanteil der Kinder aus der untersten Einkommensgruppe überstieg die Grenze von kümmerlichen zwölf Prozent nicht und ist seit 1998 tendenziell weiter rückläufig.

Ebenso ist die gern zitierte optimale Betreuungsdichte teuer – oder wenn man will: billig – erkauft. Die Briten können sich pro Student doppelt soviel Lehrkräfte wie die Deutschen leisten, weil sie ihren Dozenten nur halb soviel bezahlen. Zudem sind die Arbeitsverhältnisse des Lehrpersonals nur halb so stabil – gemessen nicht etwa an denen der deutschen Kollegen, sondern an denen des Personals von Gastwirtschaften. 90 Prozent des reinen Forschungspersonals haben Zeitverträge, 38 Prozent des Lehrpersonals an den jüngeren Universitäten müssen sich mit Stundenverträgen begnügen. "Wenig Verdienst, hohe Unsicherheit", resümiert Fohrbeck, der zugleich mit einiger Verwunderung konstatiert, daß der arbeitsrechtliche Schwebezustand die Kreativität zu beflügeln scheine, da dieses System ausländische Nachwuchskräfte anziehe.

Auch die Tatsache, daß von den zehn britischen Spitzenuniversitäten die meisten nur noch weniger als die Hälfte ihres Budgets aus staatlicher Grundfinanzierung beziehen, liest sich prima vista als neoliberale Erfolgsmeldung. Doch Fohrbeck registriert auch hier die Kehrseite: Die zusätzlichen Gelder fliessen aus der Auftragsforschung, den happigen Gebühren für Nicht-EU-Studenten, dem Konferenzbetrieb, Weiterbildungsangeboten und Beteiligungen an Technologieparks.

Das Rennen machen dabei jedoch die Eliteuniversitäten Oxford, Cambridge sowie Imperial College und University College, beide in London, die über ein Viertel des gesamten Forschungseinkommens aller 113 Universitäten einstreichen. Auch hier öffnet sich eine Klassenschere, da upper-class-Unis wie Oxford selbst entscheiden dürfen, wen sie aufnehmen wollen. So versammeln sich an den Wissenschaftszentren, wo das große Geld der Auftragsforschung hinfließt, auch die Einser-Abiturienten, während der Troß an den schlecht ausgestatteten Polytechnics, den 1992 in Universitäten verwandelten Fachhochschulen, studieren muß.

Man kann es vielleicht höflicher Rücksicht gegenüber seinem Gastland zuschreiben, wenn Fohrbecks resümierendes Urteil über das britische Hochschulwesen fast moderat ausfällt: Die Insel lohne für deutsche Reformplaner eine Bildungsreise, doch müsse man "nicht alles übernehmen, was sich in angelsächsischen Ländern abspielt."


 
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