© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
Schröders Hauruck-Politik
Die Green-Card entpuppt sich als typischer Flop der Berliner Regierung
Hans-Jürgen Mahlitz

Das war wieder einmal ein Flop auf der ganzen Linie. Erst will der Kanzler das Internet zum "Inder-Nett" umfunktionieren, dann macht der Außenminister die Green Card zur grünen Chefsache, jettet höchstpersönlich ins gelobte Software-Land und steht am Ende mit leeren Händen da – vor Ort hätte er die ernsthaft an Jobs in Deutschland interessierten IT-Spezialisten einzeln per Handschlag begrüßen können.

Irgendwie hat sich in rot-grünen Köpfen (und auch in immer mehr gelben und schwarzen) die fixe Idee festgesetzt, das bislang eher als Entwicklungsland bekannte Indien sei prädestiniert, Deutschland Entwicklungshilfe in Sachen Hochtechnologie zu gewähren – an indischen Computerfreaks soll nun das deutsche Wesen genesen.

Freilich ist es eine nicht gerade neue Erkenntnis, daß die Inder auf eine ähnlich lange und hochstehende kulturelle Tradition zurückblicken können wie wir Europoäer. Vor allem abstraktes, mathematisch-logisches Denken scheint ihnen zu liegen; nicht von ungefähr trifft man in den entsprechenden Fachrichtungen an amerikanischen Elite-Universitäten oder auch an Instituten der Max-Planck-Gesellschaft immer wieder auf herausragende Wissenschaftler aus Indien.

Es soll nach wie vor auch nicht-indische IT-Experten geben, die wissen, wie man einen Computer programmiert. Die Software-Spezialisten von Ganges und Indus nun zur allein wirksamen Wunderwaffe im Kampf gegen den Abstieg Deutschlands in die Regional-Liga der Hightech-Branche hochzustilisieren, scheint denn doch reichlich übertrieben.

Die Gefahr eines weiteren Abstiegs (aus der ersten Liga hat Deutschland sich schon längst verabschiedet) ist natürlich nicht zu leugnen. Sie läßt sich an rückläufigen Weltmarktanteilen der einschlägigen Industrie ablesen, ebenso an der Statistik internationaler Patentanmeldungen oder an den Namenslisten der Nobelpreisträger.

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum Deutschland hier den Anschluß verpaßt hat. Zum Beispiel im Bildungssystem die unselige Kombination großenteils unsinniger, leistungshemmender Schul- und Hochschulreformen mit gezielter Indoktrination im Sinne einer technologie- und wirtschaftsfeindlichen Ideologie. Hier haben sich übrigens seit 1968 sozialdemokratisch geführte Bundes- und Landesregierungen in besonders unrühmlicher Weise "hervorgetan".

Und diese langfristig angelegte Fehlentwicklung soll nun von ein paar tausend ausländischen Computer-Experten wettgemacht werden? Da wird doch nur an den Symptomen herumkuriert; dies den Bürgern medienwirksam als Sanierung zu verkaufen, ist schon reichlich naiv.

Eine weitere Ursache ist die stetig zunehmende Bürokratisierung des gesamten öffentlichen Lebens, insbesondere in Wirtschaft und Wissenschaft. Es ist eben kein Kalauer, sondern bittere Realität, daß ein Bill Gates in Deutschland schon deshalb nichts hätte werden können, weil die Gründung von Microsoft gegen Gewerbeordnung, Arbeitsrecht und "Reichsgaragenverordnung" verstoßen hätte. Aber ob man ausgerechnet mit unbürokratischen Einreise-Erleichterungen erreichen kann, daß unser Steuersystem oder die Gewerbeordnung etwas weniger bürokratisch, kompliziert und damit fortschrittshemmend werden, muß denn doch bezweifelt werden.

Ein weiteres: "Made in Germany" ist heute nicht mehr synonym für hochwertige Spitzentechnologie in bester Qualität – allenfalls noch für "zu teuer". Und es ist schon auffällig, daß parallel dazu auch das Ansehen deutscher Manager gesunken ist – diverse aktuelle Fusionsflops haben diesen reichlich blamablen Trend drastisch unterstrichen.

Offensichtlich ist in zu vielen deutschen Unternehmen zu vordergründig nur an Börsenkurse gedacht worden; für die fleißigen Hände und klugen Köpfe, die man dafür braucht, soll gefälligst "der Staat", "die Politk", "die Gesellschaft" oder wer auch immer sorgen. Solche Denkweise ist mitverantwortlich für die Ausbildungsmisere in diesem unserem Lande.

Soweit die Diagnose. Doch selbst wenn man dem rot-grünen Duo Schröder/Fischer zubilligt, sich in diesem Falle richtigen Erkenntnissen nicht zu verschließen – die Medizin, die sie uns verordnen, wird davon auch nicht besser. Um Deutschland als zukunftssicheren Standort für Hochtechnologie zu sichern, müssen wir die Fehler der Vergangenheit im eigenen Lande korrigieren.

Für den Bereich "Bildung, Forschung, Lehre" heißt das: Nachdem die 68er uns drei Jahrzehnte lang weisgemacht haben, wir bräuchten "Mut zu Reformen", brauchen wir jetzt den Mut, einen Teil des als "Reformen" getarnten Chaos zurückzunehmen und uns wieder jener Werte und Bildungsideale zu besinnen, die Deutschland zu einer der großen Kultur- und Wirtschaftsnationen gemacht haben.

Unsere Hausaufgaben müssen wir schon selber machen; wir können sie nicht auf indische Computer-Experten abschieben. Mit nationaler Überheblichkeit hat das nichts zu tun. Im Gegenteil: Wir leben, ob uns das nun paßt oder nicht, im Zeitalter der Globalisierung, und da können Wirtschaft, Technologie und Wissenschaft vom internationalen Austausch nur profitieren. An den Hochschulen und Forschungsinstituten Deutschlands gehört die Mitarbeit ausländischer Wissenschaftler übrigens längst zum Alltag. Eine Green Card haben wir dafür bislang nicht gebraucht; wir brauchen sie auch weiterhin nicht.

Die Green Card ist ein aus blindem Aktionismus geborener Medien-Gag à la Schröder. Davon einen Schub für die Ausbildung einheimischer Fachkräfte zu erwarten, ist illusorisch – als ob 30.000 arbeitslose EDV-Fachleute nicht Motivationsschub genug wären!

Und Fischers Indien-Trip offenbarte erst recht, wie unausgegoren diese Aktion war und ist. Der Lockruf aus Deutschland fand fast keine Resonanz. Denn wer sich dort überhaupt mit dem Gedanken trägt, ins Ausland zu gehen, verbindet mit "Deutschland" eher negative Assoziationen – zu niedrige Gehälter, zu hohe Steuern, zu viel Bürokratie. Das reicht bis zu Aversionen gegenüber Wetter und Kochkunst der Deutschen. Das Ergebnis: Während amerikanische Firmen und Institute sich unter Tausenden von Bewerbern die allerbesten aussuchen können, registrieren wir auf 20.000 Stellenangebote nicht einmal 100 Anfragen.

Also bekommen wir eben doch nicht die weltweit besten IT-Experten, die uns die Bundesregierung versprochen hat, sondern nur "zweite Wahl", nämlich jene, die für Amerika nicht gut genug sind.

Die Green Card – letztlich ein Versuch, durch die Hintertür unser ohnehin großzügiges Asylrecht noch weiter aufzuweichen. Nicht nur beim grünen Außenminister drängt sich der Verdacht auf, daß genau dies von Anfang an beabsichtig war.


 
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