© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
Kein Vorrang nationaler Interessen
Die Junge Union Niedersachsen diskutierte auf einem Kongreß Thesen zur Verteidigungs- und Sicherheitspolitik
Christian Vollradt

Die Beschäftigung mit dem Thema Sicherheitpolitik gehört seit vielen Jahren nicht mehr selbstverständlich zum Programm des Unionsnachwuchses. So wundert es nicht, daß der "Verteidigungspolitische Kongreß", den die niedersächsische Junge Union vergangenen Samstag im Hannoveraner Landtag veranstaltete, schon vorab das Interesse der Medien weckte. Über 100 meist junge Teilnehmer sowie ein hochkarätig besetztes Podium aus Politik, Militär und Wissenschaft konnte der Landesvorsitzende Gerold Papsch im Fraktionssaal der CDU begrüßen.

Als Grundlage für den Kongreß diente ein Thesenpapier, das der verteidigungspolitische Arbeitskreis um den stellvertretenden Landesvorsitzenden Andreas Schwegel entworfen hatte und den Delegierten des JU-Niedersachsenrates zur Abstimmung vorlegte. Nach dem Ende der bipolaren Ära habe sich in Deutschland ein falsches Sicherheitsgefühl breitgemacht, das der tatsächlichen Lage nicht gerecht werde, geben die Autoren im analytischen Teil des Papiers zu bedenken.

Über Aufgaben und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr ging es in der Podiumsdiskussion, an der sich neben den Bundestagsabgeordneten Breuer (CDU), Palis (SPD) und Nolting (FDP), Brigadegeneral Kreuzinger-Janik (Wehrbereichskommande Hannover), Oberstleutnant Husemann (Bundeswehrverband) sowie Professor Meyer von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung beteiligten.

Während die Vertreter aus Politik und Militär vehement für die Beibehaltung der Wehrpflicht plädierten, äußerte Professor Meyer seine Bedenken, ob die zukünftigen Aufgaben mit einer Wehrpflichtarmee lösbar seien. Diese Meinung teilte auch der in einem Gesprächskreis am Nachmittag referierende Politikwissenschaftler Kuper aus Göttingen. Seiner Meinung nach erklärt sich das Festhalten der Abgeordneten an der Wehrpflicht vor allem aus regionalpolitischen Gründen, da im Falle ihrer Aussetzung Standortschließungen drohten.

Paul Breuer, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bekräftigte im Anschluß an die Diskussion gegenüber der JUNGEN FREIHEIT seinen Widerspruch gegen das vom JU-Arbeitskreis vorgelegte Thesenpapier in puncto Aussetzung der Wehrpflicht: Ohne das Potential ehemaliger Wehrdienstleistender sei ein quantitativ und qualitativ notwendiger Aufwuchs für die Armee nicht zu erreichen. Außerdem kritisierte er die skeptische Haltung der Autoren des Papiers gegenüber der Dauerhaftigkeit von militärischen Bündnissen. "Die Nato ist ein Stück Stabilitätskultur", so Breuer, Deutschland solle Vorreiter einer europäischen Verstärkung des atlantischen Bündnisses werden. Als Unsinn bezeichnete er die im Papier erhobene Forderung nach einer Parade am Tag der deutschen Einheit.

Darin widersprach ihm der Ehrenvorsitzende der niedersächsischen CDU, Wilfried Hasselmann, der in seinem Grußwort sagte, es sei gerade Aufgabe einer politischen Jugendorganisation, schärferes Profil nach außen zu zeigen. Richtig erschien ihm die Betonung nationaler Interessen: "Es ist doch gut, sich für unser Vaterland einzusetzen!" ermunterte dieses letzte prominente konservative Urgestein der Niedersachsen-Union seine jungen Zuhörer, die ihm darauf kräftigen Applaus spendeten.

Zum Abschluß der Veranstaltung berieten die JU-Delegierten das Thesenpapier. Vor möglicher "mißverständlichen Interpretation" warnten Bedenkenträger aus dem liberaleren Lager des Verbandes. Sie stießen sich an den Formulierungen, die einen Vorrang nationaler Interessen betonten. Tatsächlich wurde die häufige Verwendung des Wortes "national" moniert, das man als geschichtlich belastet betrachtete!

Nicht untypisch für die Union war die Forderung, brisante Formulierungen zu entschärfen, so zum Beispiel die Aussage, daß "die Freunde von heute nicht zwingend die Freunde von morgen" sein müssen. In den überwiegenden Fällen der Abstimmung versagte sich jedoch die Mehrheit der Delegierten diesen Versuchen, Schärfe aus dem Tenor der Thesen zu nehmen. Dem Wunsch nach stärkerer Repräsentation der Bundeswehr nach außen – beispielsweise durch eine Truppenparade am 3. Oktober – wollte man sich jedoch nicht anschließen. Erwartungsgemäß kontrovers fiel die Diskussion über das Thema Wehrpflicht aus. Die Autoren des Papiers hatten für deren Aussetzung plädiert. In der Diskussion betonten sie, nicht gegen die Wehrpflicht zu sein; vielmehr habe jedoch bereits mit der Verkürzung der Wehrdienstdauer auf zehn Monate der "Einstieg in den Ausstieg aus der Wehrpflicht" begonnen. Mit nur einer Stimme Mehrheit stimmten die Delegierten gegen einen Änderungsantrag, der die Beibehaltung der Wehrpflicht forderte.

Der Kongreß war Bestandteil einer Veranstaltungsreihe unter dem Motto "Wehrhafte Demokratie", die im November fortgesetzt werden soll. Zielsetzung dieser Reihe ist es, wieder ein positiveres Staatsverständnis und gesundes nationales Selbstbewußtsein unter jungen Leuten zu fördern, so Andreas Schwegel gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Auch wolle man von Niedersachsen aus Impulsgeber für den Bundesverband sein, dem Schwegel eine zu einseitige Fixierung auf "weiche Themen" vorhält.


 
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