© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/00 26. Mai 2000

 
Vom Zeitgeist unbeeindruckt
Der Bund der Vertriebenen veranstaltete seinen Bundeskongreß erstmals wieder in Berlin
Werner H. Krause

Das Schöneberger Rathaus in Berlin ist ein geschichtsträchtiger Ort. Während der Zeit des Kalten Krieges artikulierte sich auf dem Rudolph-Wilde-Platz, der inzwischen den Namen John F. Kennedys trägt, die Stimme des westlichen Teils von Berlin. Sie richtete sich gegen die kommunistische Anmaßung, jedermann ein politisches System aufzwingen zu wollen, das zutiefst inhumane Züge trug. Die Spaltung der Stadt, die von den Sowjets veranlaßte Blockade, die von dem Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter organisierte Gegenwehr und das Geläut der Freiheitsglocke spiegeln sich hier.

Es mutet deshalb schon recht grotesk an, wenn dieser Tage gewissermaßen Seite an Seitedie Repräsentanten des Bundes der Vertriebenen (BdV) und die Funktionäre der SED-Nachfolgepartei die Schöneberger Rathaustür durchschritten. Bundesversammlung des BdV und Landesparteitag der PDS sozusagen Tür an Tür. Da kommt einem dann schon in den Sinn, dem bekannten Berliner Lied "Es war in Schöneberg im Monat Mai" die Zeile anzufügen: "Und auch die PDS, die war dabei."

Die Heimatvertriebenen wählten auf ihrer Bundesversammlung einen neuen Vorstand. Erika Steinbach, Bundestagsabgeordnete der CDU und seit kurzem auch Mitglied des Parteipräsidiums, wurde erneut zur Präsidentin des BdV gewählt. Bemerkenswerter Weise mit einem geradezu traumhaften Wahlergebnis. Von 87 gültigen Stimmen entfielen alle auf sie.

Als sie vor zwei Jahren an die Spitze der heute noch über zwei Millionen Mitglieder zählenden Organisation der Heimatvertriebenen trat, war schnell zu erkennen, daß sie gewillt schien, die Heimatvertriebenen Schritt für Schritt wieder in eine bessere Position zu bringen. Das ist ihr durchaus gelungen. 1999 nahm sie Innenminister Schily in die Pflicht, der auf einer Veranstaltung im Berliner Dom so etwas wie Abbitte der Linken gegenüber den deutschen Heimatvertriebenen tat. Für dieses Jahr überredete sie Bundeskanzler Schröder zur Kür. Er sagte zu, am 3. September, dem Tag der Heimat, im Berliner Konzert- und Schauspielhaus am Gendarmenmarkt das Wort an die Heimatvertriebenen zu richten.

Wie auf der Bundesversammlung zu vernehmen war, kommt auch das vom BdV anvisierte Vorhaben, ein Zentrum gegen Vertreibung in Berlin zu errichten, gut voran. Die politische Elite des Landes stimmt offensichtlich mit dem BdV darin überein, daß es an der Zeit ist, auch die gegenüber Deutschen begangenen Untaten im Zusammenhang mit der Vertreibung von 15 Millionen Menschen aus dem Osten Deutschlands in das Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken. Dies hat auch alles ein wenig mit dem sich ständig wandelnden Zeitgeist zu tun, der im Begriff zu stehen scheint, wieder einmal umzuschlagen. Der BdV hat es mittlerweile auch verstanden, das Thema der Verschleppten und deutschen Zwangsarbeiter von jenseits der Oder und Neiße auf die politische Tagesordnung zu bringen.

Die Bundesversammlung machte klar, daß man auf die Karte der europäischen Osterweiterung setzt. Allerdings, und dies kam besonders in einem Antrag des Landsverbandes Niedersachsen zum Ausdruck, wird man darauf dringen, daß in der entstehenden Charta der Grundrechte der Bürger der europäischen Union das Recht auf Heimat verankert wird. Denn erst so, Dieter Radau und Hellmut Schneider, den Einbringern dieses Antrages, wird dies einen völkerrechtlichen Anspruch auf unbehelligtes Verbleiben in der Heimat sowie auf jederzeitige unbehinderte Rückkehr begründen.

In ihrer programmatischen Rede auf der Bundesversammlung hob Erika Steinbach hervor: "Das internationale Klima hat sich zugunsten der Vertreibungsopfer geändert. Die Bundesregierung hat alle Möglichkeiten, die EU vor dem Import von schwersten Menschenrechtsdelikten zu bewahren. "Dies richtet sich vor allem gegen die tschechischen Beneschdekrete, die noch immer nicht auf dem Kehrichthaufen der Geschichte gelandet sind. Während die BdV-Präsidentin derzeit dem Bundeskanzler freundliche Blicke schenkt, werden ihre Augen schwarz vor Zorn, sobald sie auf den Kanzlerminister Naumann zu sprechen kommt, welcher der so umfangreichen Kulturarbeit der Vertriebenen das Leichentuch webt. Dagegen will der BdV weiter das Panier erheben.

Vielleicht noch ein kleines Indiz für ein Stück Gesinnungswandel im BdV: Vor zwei Jahren gab es während der Wahlen zum Präsidium Ärger um den Thüringer BdV-Chef Latussek. Es schied damals als Vizepräsidenten aus, viele erblickten in ihm einen Scharfmacher. Jetzt wurde er wieder einer von sechs Vizepräsidenten. Jemand stellte ihm die Frage, ob er inzwischen zahmer geworden sei. Seine Antwort: Keineswegs!


 
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